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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
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drauflos. Eine aus nächster Nähe abgefeuerte Kugel durchschlug den Kopf der Kongressabgeordneten. Insgesamt kamen sechs Menschen zu Tode, dreizehn wurden verletzt. Das Magazin der 9mm-Glock enthielt mehr als dreißig Schuss.
    Das Bild des Attentäters tauchte wieder vor mir auf. Jared Loughner, zweiundzwanzig Jahre alt. In den Wochen danach sah man das Foto überall. Auf Loughners aufgedunsenem Gesicht lag ein unheimliches Grinsen, wie bei einem dicken Schuljungen, der auf dem Jahrmarkt den Hauptgewinn gezogen hat. Es war ein unheimliches Bild. Der künstliche Schein des Blitzlichts verlieh seiner Haut den gelblichen Ton eines vergehenden Blutergusses, und der fast kahle Schädel ließ ihn kränklich aussehen, wie nach einer Chemotherapie. Und dann dieses Joker-Grinsen, ungerührt, ein Auge von einem Schatten bedeckt. Schon das Foto hatte klargemacht: Dieser Kerl ist nicht normal. Das war ein Verrückter, einer der «Droogs» aus A Clockwork Orange .
    Ich versuchte meinen Sohn auf die gleiche Weise zu sehen, als gestörten Attentäter mit einem wahnsinnigen Plan, aber mein Verstand weigerte sich. Danny war ein normaler Junge aus einem normalen Umfeld. Okay, ein Scheidungskind, aber galt das heute nicht als normal? Schließlich wurden fünfzig Prozent aller Ehen geschieden, und diese Kinder wurden nicht alle zu Todesschützen. Nein, es handelte sich um einen Irrtum, und ich würde ihn aufklären.
    «Hören Sie», sagte ich. «Ich verlange, dass mein Sohn sofort ärztliche Hilfe bekommt.»
    «Mit allem gebührenden Respekt, Sir», sagte Green. «Sie und Ihr Sohn können mich mal.»
    Das war unser letzter Wortwechsel, bevor wir unser Ziel erreichten.
     
    Eine halbe Stunde später kamen wir in Stamford, Connecticut, vor einem gesichtslosen Büroturm an. Eine Wache mit einem Maschinengewehr winkte uns durch ein Tor, und wir stoppten abrupt vor einem Hintereingang. Bewaffnete Beamten sprangen aus allen drei SUVs , die Nacht war warm und das Knallen der Türen laut wie Gewehrfeuer. Von einem Fast-Food-Restaurant auf der anderen Seite des Highways wehte Pommes-frites-Geruch herüber. In der Eingangshalle standen mit Sturmgewehren bewaffnete Männer in Anzügen. Im Fahrstuhl sagte niemand von uns ein Wort, alle starrten auf die Stockwerksanzeige. Der Aufzug öffnete sich im fünften Stock, und wir betraten eine Art Ermittlungszentrale, in der förmlich gekleidete Männer und Frauen telefonierten, sich über Computertastaturen beugten, in Headsets redeten und Daten sammelten. Es herrschte eine verhalten panische Atmosphäre. Männer durchquerten den Raum mit fliegenden Krawatten, Frauen mit Handys am Ohr und Eilfaxen in der Hand liefen die Korridore entlang.
    Die Agenten schoben mich weiter, vorbei an einem Konferenzraum mit einer weißen Tafel, auf der sämtliche Einzelheiten über das Leben meines Sohnes aufgelistet waren, die sich von den Bundesbeamten in zwei Stunden zusammentragen ließen. Die Geschichte meiner Familie, wie sie sich nach Bankdaten und amtlichen Personalien darstellte. Es war unwirklich, das hier zu sehen. Die Dinge, die dort standen, waren Teil unseres Privatlebens, doch für die Leute hier waren sie nur Mosaiksteine, die es zu sammeln und zusammenzustückeln galt. Geburtstage, Entscheidungen, die wir getroffen, Orte, an denen wir gewohnt, Menschen, die wir kennengelernt hatten.
    Ich sah Fotografien von Daniel, einen Bericht über seine Festnahme, einen schwarzen Wirbel aus Fingerabdrücken, einzelne Videobilder aus dem Publikum. Später erfuhr ich, dass sie ihn auf diese Weise identifiziert hatten. Die Fingerabdrücke hatten über eine kürzlich erfolgte Verhaftung wegen Landstreicherei zunächst zu seinem von ihm falsch angegebenen Namen geführt. In der Folge recherchierte man die Daten seiner Ausbildung. Es hingen dort aus Jahrbüchern kopierte und vergrößerte Fotos. All das sah ich in der kurzen Zeit, die es dauert, drei Meter weit zu gehen.
    Aus der Kommandozentrale hörte ich jemanden sagen: «Es ist mir egal, wer ihr Vater ist. Niemand verlässt die Eingangshalle, ohne genau überprüft worden zu sein.»
    Ich wurde in einen fensterlosen Raum gebracht, und man sagte mir, ich solle warten. Der Boden war mit einem Kunstfaserteppich ausgelegt, und an der hinteren Wand hing ein Waschbecken, das merkwürdig fehl am Platz wirkte. Ein Waschbecken. Wurden hier etwa Geständnisse aus den Leuten herausgeprügelt? Aber es kam mir unsinnig vor, einen Raum mit Teppich auszulegen, in dem Blut fließen
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