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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
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stand finanziell gut da. Das Geld ermöglichte uns gewisse Freiheiten und Annehmlichkeiten. Ein Haus mit fünf Zimmern und ein paar Hektar Hügelland mit einer Trauerweide und einer verblichenen weißen Hängematte, die sich träge im Wind wiegte. An diesen lauen Sommerabenden ging ich mit einem Gefühl von Frieden durch die Vorortstille, mit dem Bewusstsein, es zu etwas gebracht zu haben, und das hatte nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern mit einer tiefen Ruhe. Es war wie der Triumph des Marathonläufers nach dem Rennen, der Jubel des Soldaten, wenn ein Krieg endlich beendet ist. Ich hatte mich einer Herausforderung gestellt und sie gemeistert, was mich reifer hatte werden lassen.
    Fran knetete bereits den Pizzateig, als ich hereinkam, und rollte ihn auf der marmornen Arbeitsplatte aus. Die Zwillinge rieben Käse und verteilten den Belag. Fran war meine zweite Frau, eine großgewachsene Rothaarige mit sanften Rundungen wie ein träger Fluss – mit etwa vierzig war die athletische Drahtigkeit der Volleyballspielerin üppigeren Formen gewichen. Fran war ein Mensch, der in sich ruhte und die Dinge weitsichtig und bedachtsam anging. Meine erste Frau war da ganz anders gewesen, impulsiv und immer dem wilden Auf und Ab ihrer Gefühle unterworfen. Unsere Heirat war ein Irrtum, aber ich stelle mir gern vor, dass eine meiner besseren Eigenschaften darin besteht, aus meinen Fehlern zu lernen, und ich Fran dann einen Antrag machte, weil wir – ein romantischerer Ausdruck dafür fällt mir nicht ein – miteinander kompatibel waren, und das im wahrsten Sinne des Wortes.
    Fran arbeitete als virtuelle Assistentin, was hieß, dass sie von zu Hause aus arbeitete. Sie half Leuten, die sie noch nie persönlich getroffen hatte, Termine zu vereinbaren und Flüge zu buchen. Statt Ohrringen trug Fran einen Bluetooth-Kopfhörer, den sie sich gleich nach dem Aufwachen ans Ohr klemmte und erst kurz vorm Schlafengehen wieder abnahm. Was bedeutete, dass sie oft mit sich selbst zu sprechen schien.
    Unsere Zwillinge, Alex und Wally, waren in diesem Jahr zehn Jahre alt geworden. Sie waren zweieiige Zwillinge und glichen sich in keiner Weise. Wally hatte eine Hasenscharte und wirkte immer etwas bedrohlich, als wartete er nur darauf, dass man ihm den Rücken zukehrte. Tatsächlich aber war er der Bravere der beiden, der Unschuldigere. Eine Genmutation hatte ihm den Spalt im Gaumen beschert, der zwar weitgehend korrigiert worden war, seinem Gesicht aber immer noch etwas aus dem Lot Geratenes, Ungenaues, Verletzliches gab. Sein Bruder Alex, blond und im Vergleich zu ihm äußerlich ein Engelchen, war in letzter Zeit wegen verschiedener Prügeleien in Schwierigkeiten geraten. Das war nichts Neues, schon im Sandkastenalter war er jedem zu Leibe gerückt, der glaubte, sich über seinen Bruder lustig machen zu können. Über die Jahre hatte sich dieser Beschützerinstinkt in den unbändigen Drang verwandelt, ganz allgemein für Außenseiter und Schwächere einzutreten: Dicke, Sonderlinge, Kinder mit Zahnspangen. Nachdem wir vor ein paar Monaten zum dritten Mal in diesem Schulhalbjahr zu seinem Rektor bestellt worden waren, gingen Fran und ich mit Alex essen und erklärten ihm, dass wir seinen Wunsch, den Schwachen zu helfen, guthießen, er aber weniger handgreifliche Wege dafür finden müsse.
    «Wenn du diesen Rüpeln eine Lehre erteilen willst», sagte ich, «musst du dir etwas anderes einfallen lassen. Ich garantiere dir, dass durch Gewalt noch nie jemand dazugelernt hat.»
    Alex war schlagfertig und redegewandt. Ich schlug ihm vor, er solle sich doch im Debattierclub der Schule anmelden, wo er lernen konnte, andere mit Worten zu schlagen.
    Er zuckte mit den Schultern, aber ich konnte sehen, dass ihm der Gedanke gefiel. Während der nachfolgenden Monate wurde Alex zum Top-Debattierer der Klasse und beantwortete auch zu Hause jede Aufforderung, sein Gemüse zu essen oder im Haushalt zu helfen, mit einer philosophischen Gegenfrage.
    Daran konnte ich nur mir die Schuld geben.
    Das also war unsere kleine Familie. Vater, Mutter und zwei Söhne. Daniel, mein Sohn aus meiner ersten Ehe, hatte während seiner mürrischen Teenagerzeit ebenfalls ein Jahr bei uns gelebt, war dann aber so kurzentschlossen wieder abgereist, wie er gekommen war. Eines Morgens, es war noch dunkel, weckte er mich und fragte, ob ich ihn zum Flughafen bringen könne. Seine Mutter und ich hatten uns getrennt, als er sieben war, und er war bei ihr an der Westküste geblieben, während
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