Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
Vom Netzwerk:
vorm Eingang, standen zwei Männer in schwarzen Anzügen neben einer Metalldetektorschleuse.
    Um 2.45 Uhr öffnete ein Wachmann die Absperrung, und die Menge wogte voran. Carter blieb nahe bei den beiden Mädchen. Am Eingang mussten sie sich ausweisen und die Taschen ausleeren. Dann traten sie einer nach dem anderen durch die Schleuse. Drinnen versuchten sich die Mädchen zu erinnern, wo genau sie ihre Freundinnen treffen wollten. Cindy entschied dann aber, dass sie besser gleich in den Saal gehen und sich Plätze sichern sollten, bevor es keine guten mehr gebe. Carter bat sie, einen für ihn freizuhalten, er müsse nur schnell zur Toilette. Er lief die Treppe hinauf, und als er nach dem Geländer griff, durchfuhr ihn ein Stromstoß, als wäre es die Stromschiene einer U-Bahn. Im ersten Stock standen etliche Wachmänner an den Türen zum Balkon. Er ging an ihnen vorbei, steuerte auf die Toilette zu und hielt inne. Direkt neben der Tür stand ein Polizist, kaum einen Meter vom Feuerlöscher entfernt. Carter überlegte, ob er umkehren sollte, tat es dann aber nicht. Er ging an dem Polizisten vorbei und betrat die Toilette. Sie war leer. Er verspürte augenblicklich Harndrang, unterdrückte ihn aber. Stattdessen wusch er sich die Hände, trocknete sie ab, wusch sie noch einmal und überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Vielleicht konnte er dem Polizisten gegenüber einfach behaupten, er habe gehört, dass ein paar Studenten planten, sich durch einen Seiteneingang hineinzuschleichen. Er hoffte, dass dieser darauf seinen Posten verlassen würde. Aber nein, das fühlte sich nicht gut an. Das wäre zu gewagt. In seinem Bauch rührte sich Angst.
    Aber der Polizist war weg, als er wieder hinauskam. Das Schicksal war definitiv auf seiner Seite. Einen kurzen Moment lang war der Flur leer. Er machte sechs schnelle Schritte auf die Nische zu, öffnete die Glastür und griff hinter den Feuerlöscher. Die Pistole war noch da. Er zupfte am Klebeband im vollen Bewusstsein, dass der Polizist oder ein Dutzend Studenten jeden Moment den Flur entlangkommen konnten.
    Er war schweißgebadet, als er die Pistole endlich in der Hand hielt. Das Klebeband knüllte er zu einem Ball zusammen und legte es zurück hinter den Feuerlöscher. Die Pistole war klebrig, aber das war ihm egal. Er schob sie sich hinten in den Hosenbund und spürte, wie sie an den Härchen dort zerrte. Endlich schloss er die Glastür wieder und lief zurück zur Treppe. Er war gerade zwei Stufen hinabgestiegen, als ihm der Polizist von unten entgegenkam. Carter lächelte und nickte und hatte dabei das Gefühl, die ganze Treppe würde sich auf ihn zubewegen.
    Er betrat den Zuschauerraum durch die mittlere Tür. Der Raum war bereits zur Hälfte gefüllt. Sicherheitsbeamte standen an den Ausgängen und entlang der Bühne. Aus den Lautsprechern drang Musik, Wilco mit What Light . Carter mischte sich unter die Leute. Die Pistole in seinem Rücken war wie eine Energiequelle, die sein Herz versorgte. Er hatte das Lied schon einmal gehört, in Austin, als Seagram im Park am Lady Bird Lake zur Menge gesprochen hatte. Dieses Zusammentreffen war ein weiteres grünes Licht. Es war faszinierend. Ihm war endgültig klar: Er war für diese Sache geboren.
    Er dachte an den Tag, als er Vassar den Rücken gekehrt hatte, an diesen unbestimmten Drang, der ihn aus seinem Schlummer geholt hatte, die Gewissheit, dass er verschwinden, sich in der Welt verlieren musste, um sich zu finden. Er war diesem Gefühl gefolgt und hatte das Land gesehen, war durch sein fieberndes Inneres gefahren. Er hatte den Finger Gottes gesehen, wie er das Farmland Iowas entzweiriss, hatte in Texas in von Quellen gespeisten Teichen gelegen, war durch den hüfthohen Schnee Montanas gewatet und auf stahlbraunen Schienen gefahren. Das alles war seine Vorbereitung gewesen. Das sah er jetzt. Er hatte alles hinter sich lassen und sich völlig im Schweigen tiefster Einsamkeit verlieren müssen, um Klarheit zu finden. Wie sonst hätte er im Wirrwarr des Alltagslebens etwas hören sollen?
    Der Saal war gefüllt. Der Wilco-Song ging zu Ende, und Today von den Smashing Pumpkins setzte ein. Das Licht wurde heruntergedimmt. Die Leute standen auf.
    Today is the greatest / Day I’ve ever known. / Can’t wait for tomorrow. / Tomorrow’s much too long.
    Als Kind war er einmal vom Himmel gefallen, und jetzt fühlte er etwas Ähnliches im Bauch. Er war auf dem Weg nach unten, befand sich im Sturzflug. Ellbogen an Ellbogen stand sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher