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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
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vierzig Grad im Schatten. Die Mexikaner trugen langärmlige Hemden und lange Hosen. Carter zog sein T-Shirt aus und rührte die Eimer um. Er kletterte die Leiter hoch und verteilte die eklige Masse. Er spürte die Hitze nicht mehr. Es war eine Prüfung, das wusste er, so wie der Stahl eines Schwerts in der Schmiede geprüft wurde. Er trank Wasser aus Plastikflaschen. Es machte nichts, wenn er sich die Haut verbrannte, es kam allein darauf an, dass sein Netz blieb, wo er es zurückgelassen hatte. Der Drang, nach Royce Hall zu fahren und nachzusehen, war wie ein Grind, an dem er kratzen wollte, doch er zügelte sich. Sie würden längst da sein, die Männer in den schwarzen Anzügen. Er musste Vertrauen haben. Sein Plan war gut. Sein Schicksal sicher. Sonst hätte die Studentin ihn ertappt. Sonst hätte sie um Hilfe gerufen.
    Also rührte er diese klebrige, heiße Melasse um und atmete die giftigen Dämpfe ein. Manchmal gelangte das Gift so tief, dass er hinter einen Container flüchten und sich übergeben musste. Es kam nur Wasser aus ihm heraus.
    Er verfolgte die Nachrichten, um sich zu versichern, dass Seagram nicht absagte. Er sah Bilder von den Veranstaltungen in Michigan und Miami, sah einen Mann auf dem Podium, der lächelte, Mut machte und die Nation zum Wechsel drängte. Das Warten-Müssen fühlte sich an, als würde sein Inneres wie nasse Wäsche ausgewrungen. Er konnte nicht aufhören, die Zähne zusammenzubeißen. Aber er ließ sich nicht beirren. Tief in sich vertraute er dem Vergehen der Zeit. Er war einmal ein Baby gewesen, dann ein Junge, und heute war er ein Mann. Er wusste, der nächste Tag würde unweigerlich kommen, und doch verlangte ihm sein Schicksal die Geduld des ewigen Meeres ab.
    Manchmal dachte er an den Tod, aber nicht oft. Er wusste, wenn er aus der Menge heraus zu schießen begann, konnte er leicht selbst zum Ziel werden. Dessen eingedenk, ordnete er seine Angelegenheiten. Am Vorabend legte er sich zurecht, was er anziehen wollte. Seine übrigen Besitztümer packte er in einen blauen Rucksack, als Oberstes kam sein Tagebuch hinein. Der Honda stand auf einem Parkplatz in der Nähe des Staples Center. Im Kofferraum lagen zwei Pistolen und sechs Schachteln Munition. Wäre er ein religiöser Mensch gewesen, wäre er nun in die Kirche gegangen und hätte gebeichtet, um seine Seele zu reinigen, aber er war nicht religiös.
    Er wachte früh auf, nach nur einer Stunde Schlaf, erhob sich leise, stieg über die schlafenden Mexikaner und duschte. Mit dem spärlich herabtropfenden, trüben Wasser wusch er Achseln, Geschlecht und Pospalte. Er rasierte sich vor dem Spiegel und achtete sorgfältig darauf, sich nicht zu schneiden. Seine Haare waren kurz, Gesicht und Körper nach Wochen im Freien gebräunt. Er war zwanzig Jahre alt und besaß die langgliedrige Muskulatur eines Läufers.
    Er vermisste seine Pistole und wünschte, er hielte sie in der Hand, um sich dem Ritual des Zerlegens, Säuberns und Ladens widmen zu können. Das hätte ihn entspannt. Wieder stieg er über die Mexikaner hinweg, zog Jeans und ein weißes Button-Down-Hemd an. In Sacramento hatte er sich ein Paar schwarze Anzugschuhe gekauft, die er fest zuschnürte. Anschließend ließ er sich zu Boden sinken und machte hundert Liegestütze, um einen Teil der verrückten Energie in sich zu verbrauchen. Er geriet nicht einmal in Schweiß. Als er das Haus verließ, begann der Himmel gerade aufzuhellen.
    Er lief durch die müllübersäten Straßen, die Hände in den Taschen. Zum Frühstücken ging er ins Gaylord und setzte sich in eine dunkelrote Nische. Der Laden war halbleer, nur ein paar Taxifahrer und Lieferanten saßen da, um sich zu stärken. Einige Tische weiter saß ein Trupp übernächtigter Hipster, die sich verzweifelt an die letzten Ausläufer der Nacht klammerten. Als er die Karte überflog, wurde ihm bewusst, dass er sich an sein letztes richtiges Essen nicht mal mehr erinnern konnte. Er dachte an Timothy McVeigh, der vor seiner Hinrichtung zwei Schüsseln Eis gegessen hatte. Er bestellte Pfannkuchen, Eier, Kartoffelpuffer und Orangensaft bei der Kellnerin, die ein Tattoo im Nacken hatte. In seiner Brieftasche hatte er fünf Einhundert-Dollar-Scheine, das letzte Geld, das er in dieser Welt noch besaß. Für den Bus quer durch die Stadt brauchte er drei Dollar, den Rest würde er als Trinkgeld unter seinem leeren Teller zurücklassen.
    Hinterher fühlte er sich richtig aufgeputscht von den ungewohnten Kalorien. Sein Bauch glich
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