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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition)
Autoren: Noah Hawley
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dem einer schwangeren Frau. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen, und als er das dunkle Lokal verließ, musste er sich die Augen wie ein Vampir beschirmen. Es war 6.30 Uhr. Er hatte noch acht Stunden, bevor er auf dem Campus sein musste. Er stieg in den Bus Richtung Westen, um ans Meer zu fahren. Unterwegs überließ er sich dem Rhythmus des Verkehrs, und vielleicht döste er auch etwas ein. Seit Wochen hatte er nachts nicht mehr durchgeschlafen.
    Er stieg aus dem Bus und konnte den Ozean riechen. Ein Stück entfernt lag der Pier von Santa Monica, das Riesenrad erhob sich noch ohne Fahrgäste vor dem Horizont. Er ging auf der Ocean Avenue am Pier vorbei und bog auf den Strand, vorbei an den adretten weißen Markisen von Shutters. Als die Polizei ihn später durchsuchte, fand sie Sand in seinen Schuhen. Jetzt stand er im Schatten und sah den Beachvolleyballern zu, jungen Burschen in knielangen Hosen und Frauen mit Jogging- BHs , die den knochenweißen Ball in den Sand schmetterten.
    Das blaue Relief des Ozeans, das sich ins Endlose dehnte, verschaffte ihm eine seit Tagen nicht verspürte Entspannung. Er zog die Schuhe aus und ging bis ans Wasser. In Westwood wartete eine Pistole auf ihn, ein sechshundertachtzig Gramm schweres Werkzeug aus Metall, mechanisch, tödlich. Während er dort stand und das Wasser seine Zehen umspielte, begriff er, dass das hier sein Gebet war. Der Ozean. Er war ein Mann in einer Moschee, der sich nach Mekka verbeugte und auf seinen Auftrag vorbereitete.
    Kaum dass er die Entspannung empfunden hatte, wich sie einem heftigen Aufruhr seiner Gedärme. Sein Inneres war solche Nahrungsmengen nicht mehr gewohnt und beschloss zu rebellieren. Er eilte zurück zur Straße, lief in ein Taco-Restaurant und schloss die Toilettentür hinter sich ab. In sieben großen Wellen würgte er sein Frühstück hervor und ertrug dabei das heftige Klopfen anderer Gäste. Zurück auf der Straße, fühlte er sich leicht benommen. Der Sand in seinen Schuhen verrutschte und drückte. Er ging nach Santa Monica hinein und überquerte die Promenade. Ganz in der Nähe war er aufgewachsen. Die Frau, die er manchmal als seine Mutter bezeichnete, wohnte in der 12 th Street, gleich nördlich von der Montana Avenue. Er stellte sich vor, wie sie gerade zu Hause mit ihrem Kaffee dasaß und die New York Times las. Er hatte ihr versprochen, sich zu melden, wenn er in die Stadt käme, es aber nicht getan. Er fühlte sich ihr nicht mehr verbunden als den Obdachlosen in ihren Straßenhütten. Der Sohn, den sie kannte, war irgendwo im Texas Hill Country verschwunden.
    Er ging immer weiter, denn das war er jetzt, ein Pilger. Gegen 13 Uhr erreichte er den Campus. An den polizeilichen Absperrungen vor Royce Hall, die den Andrang der Leute kanalisieren sollten, sammelte sich bereits eine Menschenmenge. Er sah die Mädchen, die ihn Pigpen genannt hatten, ganz vorne in der Schlange und schob sich zu ihnen durch.
    «Na, habe ich mich anständig rausgeputzt?», fragte er sie.
    Sie freuten sich, ihn zu sehen. Es war einer jener Wiederholungsmomente, den junge Leute fälschlicherweise für einen Wink des Schicksals halten. Der gutaussehende, ordentlich rasierte, wohl gebräunte junge Mann mit dem sauberen weißen Hemd stellte sich den jungen Frauen als Carter vor. Die Blonde sagte, sie heiße Cindy, die Brünette war Abbey. Er fragte sie, woher sie stammten.
    «Ich komme aus Albuquerque», sagte Cindy.
    «Aus Montana», sagte Abbey.
    Carter erzählte ihnen, dass er den Winter in Montana verbracht habe.
    «Und was hast du da gemacht?», wollten sie wissen.
    Er erklärte ihnen, er habe die dortige Tierwelt studiert. Er wolle Naturforscher werden. Die beide Studentinnen fanden das cool. Carter erzählte weiter, vorher habe er in Austin für Seagram gearbeitet. Die beiden wollten wissen, ob er ihn schon einmal getroffen habe.
    «Ein paarmal», sagte er.
    Cindy lud Carter ein, mit ihnen gemeinsam hineinzugehen. Sie wollten eigentlich ein paar Freundinnen treffen, aber vielleicht könnten sie ja auch alle zusammen gehen. Ob Carter glaube, dass ihn der Senator wiedererkennen würde? Carter sagte, ja, das denke er schon, und vielleicht könnten sie danach noch zu dritt hinter die Bühne, um mal Hallo zu sagen. Die Mädchen waren begeistert und schnatterten jetzt erst richtig drauflos. Carter besah sich die Sicherheitsvorkehrungen am Haupteingang. Er zählte sechs Wachmänner vom Campus und fünf uniformierte Polizeibeamte. Weiter hinter ihnen, direkt
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