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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Autoren: Fred Vargas
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schnappen.
    Es lief immer auf dasselbe Ergebnis hinaus.
    Clement hatte im Grunde nur von einem kurzen Aufschub profitiert. Er hatte keine Hoffnung, aus der Falle herauszukommen. Immer vorausgesetzt natürlich, daß Clement Vauquer wirklich der war, der er zu sein behauptete.
    Auch Hier kam man immer wieder auf dieselbe Überlegung zurück.
     
    Nach dem Friedhof, nach Montrouge und nach Bismarck ging Louis wieder zur Baracke. Er war früh dran, Marc war von seinem Job noch nicht zurück und Lucien noch in der Schule. Louis setzte sich an den großen Tisch und sah Clement zu, der mit der alten Marthe spielte. In zehn Tagen Abgeschiedenheit hatte die Luft sich mit Zigarren- und Alkoholgeruch vollgesogen, und der düstere Raum erweckte den Anschein einer Spielhölle. Einer Spielhölle, in der man nicht zum Vergnügen spielte, sondern vor allem, um die Zeit totzuschlagen. Marthe versuchte, die Zerstreuungen zu variieren, und wechselte die Spiele. An diesem Abend hatte sie das Knöchelchen-Spiel mitgebracht, das Clement bei ihr auf dem Bett gelassen hatte, wo er die erste Nacht geschlafen hatte. Clement mochte die Knöchelchen. Und tatsächlich spielte der junge Mann mit großer Geschicklichkeit, warf die kleinen Metallteile in die Luft und fing eines nach dem anderen wieder auf wie ein Jongleur. Louis schaute ihm einen Moment beim Spielen zu, denn es sah schön aus, und er kannte die Regeln nicht. Clement warf die Knöchelchen in die Luft, fing sie mit dem Handrücken wieder auf, warf erneut und fing mit der Hand, erst eins nach dem anderen, dann zwei und zwei, drei und drei, die vier silbernen in der hohlen Hand, das eine rote auf dem Handrücken, und Marthe zählte die Figuren. Clement war geschickt und schnell, er lachte fast dabei. Beim ›vier und vier‹ scheiterte er, und die Knöchelchen fielen auf den Boden. Er bückte sich und sammelte sie ein. Louis durchfuhr es heiß und kalt. Das Aufblitzen der metallischen Farben, bordeauxrot und silbern, das Klickern der Knöchelchen in seiner Hand. Er erstarrte und beobachtete Clements Hand, die das Spiel wiederaufgenommen hatte. Seine Finger packten zu und ließen los und zogen dabei immer wieder schmierige Striche auf dem gewachsten Holz.
    »Totenkopf«, sagte Clement an und zeigte die metallenen Knöchelchen in seiner Hand. »Marthe, soll ich den Glückswurf machen? Ich persönlich? Mach ich's?«
    Clement nagte an seinen Lippen.
    »Na, mach schon«, ermutigte ihn Marthe. »Trau dich, mein Junge.«
    »Was ist der Glückswurf?« fragte Louis nervös.
    In diesem Moment kam Marc herein, genau in dem Augenblick, als auch Mathias pünktlich aus seinem Keller auftauchte. Mit einer energischen Handbewegung gebot Louis ihnen Schweigen.
    »Der Glückswurf«, erklärte Clement, »ist, wenn ...«
    Er hielt inne und drückte sich auf den Nasenflügel.
    »Das ist der, nämlich der den Mann immer rettet«, fuhr er fort. »Klein a, das Schiff, das nie mehr untergeht, klein b, die Kuh, die Milch gibt, klein c, das Feuer, das ausgeht.«
    »Wenn du Schwein hast, halt«, faßte Marthe zusammen.
    »Er macht von allen Gefahren sauber«, erklärte Clement und nickte ernst mit dem Kopf. »Und er gibt hundert Punkte.«
    »Und wenn du ihn verpatzt?« fragte Marthe.
    Clement fuhr sich mit der flachen Hand über die Kehle.
    »Dann verlierst du alles und bist tot«, erwiderte er.
    »Und wie wird das gespielt?« fragte Louis.
    »Auf welchselbige Weise«, sagte Clement.
    Er legte das rote Knöchelchen in die Mitte des Tisches, schüttelte die vier silbernen in seiner Hand und warf sie auf das Holz.
    »Daneben. Ich habe Anrecht auf fünf Würfe. Jeder muß sich so drehen, daß ... so fallen, daß nämlich ...«
    Clement runzelte die Stirn.
    »Muß jedes Knöchelchen auf einer anderen der vier verschiedenen Seiten zu liegen kommen?« schlug Marc vor.
    Lächelnd stimmte Clement zu.
    »Das ist eine alte Sache«, sagte Marc. »Die Römer drückten die vier Seiten des Astragalus-Knochens vor ihrer ersten Fahrt auf den Bug ihrer Schiffe. Das schützte vor Schiffbruch.«
    Clement hörte nicht mehr zu und warf erneut.
    »Daneben«, sagte Marthe.
    Louis stand langsam auf, ergriff Marc am Handgelenk und zog ihn aus dem Refektorium. Er ging im dunklen Treppenhaus ein paar Stufen hoch und blieb dann stehen.
    »Die Knöchelchen, verdammt, Marc, hast du das gesehen?«
    Marc sah ihn in der Dunkelheit verblüfft an.
    »Der Glückswurf? Ja, das ist so alt wie die Antike.«
    »Marc, Himmelherrgott, es war kein
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