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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Autoren: Fred Vargas
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›Schnitter‹ geschnappt hätte ... Er hätte ihn so lange mit Sancerre abgefüllt, bis er den Namen den dritten Mannes ausgespuckt hätte. Aber Thevenin hatte sich abgesetzt, und alle Spuren verliefen damit im Sande.
     
    Gegen drei Uhr war er in der Bruchbude, um dort von seinem Mißerfolg bei Loisel und dem Verschwinden des Gärtners zu berichten. Marc stand an seinem Bügelbrett, er war mit seiner Wäsche in Verzug. Lucien unterrichtete, der Jäger und Sammler klebte Steine zusammen mit Clement, der allmählich Spaß daran zu finden schien, und Vandoosler jätete das Rodeland. Louis ging zu ihm und setzte sich auf einen Akazienstumpf. Das dunkle Holz war warm.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte Louis.
    »Gibt auch genug Grund dazu«, erwiderte der Pate.
    »Heute ist Mittwoch.«
    »Ja. Es dürfte nicht mehr lange dauern.«
     
    Gegen sieben verließen die vier Männer die Baracke, um ihre Posten einzunehmen. Louis schloß sich Lucien an, um die Rue de la Lune von ihren beiden Zugängen aus zu überwachen.
    Die Zeit verging langsam, das Warten war eintönig, und Louis fragte sich, wie viele Nächte sie aushalten würden. Er schätzte, daß sie die Überwachung nach acht Abenden aufgeben müßten. Sie konnten nicht ihr ganzes Leben damit verbringen, mit baskischem Huhn versorgt abends auf der Lauer zu liegen. Die Anwohner fingen schon an, ihnen irritierte Blicke zuzuwerfen. Sie verstanden nicht, was diese Typen da machten, die bereits seit drei Abenden unbeweglich herumstanden. Kurz vor drei fiel Louis ins Bett. Er schmiß Bufo von der Matratze und sank in tiefen Schlaf.
     
    Am nächsten Tag startete Louis erfolglos eine zweite Offensive bei Loisel. Er suchte erneut den Friedhof und das Zimmer in Montrouge auf, aber der ›Schnitter‹ war nicht wieder aufgetaucht. Den Rest des Tages verbrachte er damit, lustlos an der Übersetzung weiterzutippen, und abends begab er sich zur Baracke. Die drei Männer waren im Aufbruch begriffen, Lucien versuchte gerade, vorsichtig ein Plastikschälchen mit gedämpftem Rindfleisch und Zwiebeln einzupacken.
    »Du machst dich ein bißchen lächerlich, Lucien«, bemerkte Marc.
    »Soldat«, erwiderte Lucien, ohne sich bei seinem Werk stören zu lassen, »wenn die Truppen mit gedämpftem Rindfleisch und Zwiebeln hätten ernährt werden können, hätte das das Antlitz des Krieges entscheidend verändert.«
    »Ganz sicher. Das Antlitz des Krieges hätte dir geähnelt, und die Deutschen hätten ihren Spaß gehabt.«
    Lucien zuckte herablassend mit den Schultern und rollte einen Streifen Alufolie ab, der dreimal so lang war wie nötig. Vandoosler der Ältere und Clement hatten am Ende des Tisches bereits mit einer Partie Karten begonnen und warteten auf Marthe.
    »Ich bin persönlich dran«, sagte Clement.
    »Ganz genau. Spiel«, entgegnete Vandoosler.
    An diesem Donnerstagabend übernahm Louis zusammen mit Marc die Überwachung der kleinen Rue du Soleil d'or. Es beruhigte ihn, abwechselnd an allen drei Straßen Posten zu beziehen, er versuchte zu vergessen, wie vergeblich diese Überwachung, wie grotesk sie beinahe war.
     
    Wie bei einem täglichen Ritual durchstreifte Louis auch am Freitag unter den argwöhnischen Blicken des Wärters den Friedhof von Montparnasse. Der große Typ mit den schwarzen Haaren, der jeden Tag hier vorbeikam, schien ihm nicht ganz in Ordnung. Bei all den Verrückten.
    Dann sah sich Louis in Montrouge um, unter den ebenfalls mißtrauischen Blicken der Nachbarin, und kehrte wieder zu Bismarck zurück. Er machte sich mit etwas mehr Eifer an seine Übersetzung, was ihm kein gutes Omen zu sein schien. Ein Zeichen dafür, daß er anfing, die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang seiner Suche nach dem Scherenmörder aufzugeben. Was würden sie in diesem mehr als wahrscheinlichen Fall mit Marthes Puppe machen? Diese fürchterliche Frage warf einen immer größeren Schatten auf seine Gedanken. Seit zehn Tagen führten der alte Bulle und die Evangelisten jetzt das Leben von Eingeschlossenen, hielten die Fensterläden verrammelt, wehrten Besuch ab, verriegelten die Tür, schliefen auf der Bank, zehn Tage, an denen Clement das Tageslicht nicht gesehen hatte. Louis konnte sich nicht vorstellen, daß eine solche Situation ewig dauern sollte. Und die Vorstellung, Clement bei Marthe zu verstecken, war in nichts erfreulicher. Der Typ würde auf dem roten Federbett noch das letzte bißchen Hirn verlieren oder sich aus dem Staub machen. Und dann würden die Bullen ihn
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