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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Autoren: Fred Vargas
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gedacht, jetzt kannst du die Nase wieder rausstecken, was? Und ich würde dich nun nicht mehr kriegen? Und was ist mit der Vergewaltigung? Hast du die Vergewaltigung vergessen?«
    Der ›Schnitter‹ krallte seine Hände um den Stiel.
    »Ich hab nichts damit zu tun«, stieß er hervor. »Wenn der Chef sagt, daß ich dabei war, lügt er. Er hat keine Beweise. Niemand glaubt einem Mörder.«
    »Du warst dabei«, versetzte ihm Louis. »Zusammen mit Rousselet und einem Kumpel, den du angeheuert hattest. Merlin hat euch bezahlt.«
    »Ich hab sie nicht angerührt!«
    »Weil du nicht dazu gekommen bist. Du hattest dich gerade auf sie gestürzt, als Clement Vauquer dich begossen hat. Erzähl mir nichts. Merlin hat nichts gesagt, aber es gibt einen Zeugen. Clairmont hat euch aus seiner Werkstatt mit dem Fernglas beobachtet.«
    »Der alte Dreckskerl«, brummte Thevenin.
    »Und du? Weißt du, was du wert bist?«
    Der ›Schnitter‹ warf Louis einen haßerfüllten Blick zu.
    »Ich werde dir sagen, was du wert bist, ›Schnitter‹. Keinen Pfifferling bist du wert, und es wäre mir ein leichtes, dich ins Loch zu befördern. Aber Nicole Verdot ist tot, und man kann nichts mehr für sie tun. Außerdem gibt's da noch was anderes: das Deckchen, das deine Mutter dir gelassen hat. Und nur seinetwegen, ausschließlich seinetwegen, hörst du, laß ich dich in Frieden, ausschließlich wegen dieser Hoffnung deiner Mutter. Hast Glück, daß sie dich beschützt hat.«
    Der ›Schnitter‹ biß sich auf die Lippen.
    »Ich laß dir die verdammte Flasche Sancerre hier, die ich während deiner kleinen Flucht jeden Tag mit mir herumgeschleppt habe. Wenn du sie trinkst, dann denk an die kleine Nicole und versuch wenigstens, die Sache zu bereuen.«
    Louis stellte ihm die Flasche vor die Füße und entfernte sich über die Hauptallee.
     
    An diesem Abend ging Louis zum Essen in die Bruchbude. Er betrat das Refektorium, aber der Raum war leer und dunkel. Durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden erspähte er Marc und Lucien, die im spärlichen Gras des Rodelands saßen.
    »Wo ist Marthes Puppe?« fragte er, als er zu ihnen nach draußen gegangen war. »Ins Licht hinausgeflogen?«
    »Aber nein«, erwiderte Marc. »Clement ist nicht ausgegangen. Ich habe ihm vorgeschlagen, durch die Straßen zu ziehen, aber er hat mir bedächtig erklärt, daß er, was ihn beträfe, lieber persönlich im Keller Kies kleben wolle.«
    »Meine Güte«, sagte Louis. »Ihr werdet ihn behutsam an die Luft setzen müssen.«
    »Ja, behutsam. Wir haben viel Zeit.«
    »Habt ihr die Fensterläden noch gar nicht wieder aufgemacht?«
    Lucien wandte den Blick zur Baracke.
    »Sag bloß ...«, sagte er. »Da hat keiner dran gedacht.«
    Marc erhob sich und lief zum Haus. Er machte die drei Fenster des Refektoriums weit auf und stieß die Holzläden zurück. Er entriegelte den Balken, der die Fensterläden des Zimmers blockierte, in dem Clement schlief, und ließ die Hitze in das Zimmer strömen.
    »So!« rief er Louis zu und streckte den Kopf zum Fenster heraus. »Hast du gesehen?«
    »Sehr gut!«
    »O. k. - und jetzt mache ich wieder zu, sonst gehen wir in der Baracke noch vor Hitze ein!«
    »Was hat er denn?« fragte Louis.
    Lucien breitete die Hände aus.
    »Widersprich dem Retter nicht«, sagte er mit ernster Stimme. »Er hätte gerne ein romantisches Ende gehabt, und jetzt hat er nur einen Stapel Wäsche zum Bügeln.«
    Louis lehnte sich an den Götterbaum und schüttelte den Kopf. Lucien schniefte und steckte die Hände in die Taschen.
    »Die Rückkehr der Soldaten von der Front«, murmelte er, »ist immer prosaisch.«
     

44
     
    Die dicke Gisele entschloß sich, mit der Zeitung unter dem Arm ausnahmsweise einmal die dreißig Meter zwischen ihrer Tür in der Rue Delambre und der jungen Line zurückzulegen.
    Als sie bei ihr angelangt war, wedelte sie ihr mit der Zeitung vor der Nase herum.
    »Also!« grölte sie. »Wer hatte nun recht? War's der Kleine von Marthe, der die armen Mädels umgebracht hat, oder war's nicht der Kleine von Marthe?«
    Line schüttelte ein wenig ängstlich den Kopf.
    »Hab ich nie gesagt, Gisele.«
    »Red keinen Quatsch! Noch vor zwei Tagen hast du ihn den Bullen ausliefern wollen, entschuldige. Hab mich wieder mal einmischen müssen. So was macht man nicht, meine kleine Line, das sollte dir eine Lehre sein. Der Kleine von Marthe hatte Erziehung, verstehst du? Und er war der Kleine von Marthe. Da gab's gar keine Diskussion.«
    Line senkte den
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