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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Autoren: Fred Vargas
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Bistrot an der Ecke, aber ihn um Himmels willen nicht verlieren. Nicht entdeckt werden, großen Abstand halten. Marc folgte ihm, ließ Passanten zwischen sich und den Mann, hielt den Kopf gesenkt und spähte nach oben. Der Mann ging an einem Restaurant vorbei, ohne hineinzugehen, dann an der Metrostation, ohne die Stufen hinunterzugehen. Er ging ohne Eile, aber mit einer gewissen Spannung im Rücken. Er hatte eine Art Arbeitshose an und trug eine alte Ledertasche in der Hand. Er ging an einer Reihe Taxis vorbei, ohne stehenzubleiben. Offensichtlich ging es zu Fuß weiter. Also war das Ziel nicht weit. Also war es weder die Rue de la Lune noch die Rue du Soleil oder die Rue du Soleil d'or. Es ging woanders hin. Der Mann lief nicht aufs Geratewohl durch die Straßen, er ging entschlossenen Schrittes, ohne zu zögern. Ein einziges Mal allerdings blieb er stehen, um kurz einen Stadtplan zu konsultieren, dann setzte er seinen Weg fort. Wo immer es auch hinging, es war offenbar das erste Mal. Marc ballte die Fäuste in den Taschen. Jetzt liefen sie bereits seit fast zehn Minuten mit für einen simplen Stadtbummel zu entschlossenen Schritten hintereinander her.
    Marc begann ernsthaft zu bedauern, daß er kein wie auch immer geartetes Angriffswerkzeug mitgenommen hatte. In der Tiefe seiner Tasche hatte er nur einen Radiergummi, den seine Finger immer wieder kneteten. Gewiß würde er mit einem Radiergummi nicht weit kommen, wenn das eintreten sollte, was er befürchtete, und einschreiten müßte. In der Hoffnung, irgend etwas zu finden - und sei es nur ein Stein -, machte er sich daran, die Bürgersteige abzusuchen. Eine eitle Hoffnung, da in Paris nichts seltener ist als herumliegende Steine, seien es auch noch so bescheidene Kieselsteine in der Art, wie Marc sie immer suchte, um sie bei seinen Spaziergängen mit der Fußspitze vor sich herzukicken. Als er in die Rue Saint-Dominique einbog, entdeckte er keine fünfzehn Meter weit einen herrlichen Bauschuttcontainer, mit dem in weißer Schrift auf grünem Grund angebrachten, unwiderstehlichen Hinweis Durchwühlen verboten. Gewöhnlich standen da immer ein paar Typen drauf, die fieberhaft nach alten Büchern, Kupferdrähten, Matratzen oder Kleidung suchten. Heute abend gab es keinen Abnehmer. Marc warf dem Mann, der vor ihm lief, einen kurzen Blick zu und schwang sich auf den Container. Er schob eilig Gipsbrocken, Stuhlbeine und Teppichrollen zur Seite und stieß auf eine phantastische Ansammlung von Klempnermüll. Er packte ein kurzes, stabiles Bleirohr und sprang wieder auf den Boden. Der Mann war fast außer Sichtweite und überquerte gerade die Esplanade des Invalides. Marc rannte gut dreißig Meter, dann ging er wieder langsamer.
    Der Spaziergang dauerte noch fünf Minuten, dann verlangsamte der Mann seinen Schritt, senkte den Kopf und wandte sich nach links. Marc kannte das Viertel nicht. Er hob den Blick zum Straßenschild und schlug sich mit der Faust auf den Mund. Der Mann war gerade in die kleine Rue de la Comete eingebogen ... Verdammt, ein Komet ... Wie hatten sie das nur übersehen können, als sie den Stadtplan von Paris abgesucht hatten? Schlampige Arbeit. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die viertausend Straßennamen der Hauptstadt durchzugehen. Sie hatten sich damit begnügt, herumzupicken und nach einem Mond, einer Sonne oder einem Stern zu suchen. Einfach dilettantisch. Niemand hatte an einen Kometen gedacht, eine dahinrasende Kugel aus Eis und Staub, eine Lichterscheinung, eine schwarze Sonne ... Um das Maß vollzumachen, war die kleine Straße nur einen Steinwurf vom Carrefour de la Tour-Maubourg entfernt. Der Turm in Trümmern, der Komet ... Es war so offensichtlich, daß es jeder x-beliebigen gemeinen Fliege ins Auge gesprungen wäre. Marc wußte jetzt sicher, daß er dem Scherenmörder auf den Fersen war, und zwar ohne Waffe, ohne Hilfe, mit nichts als einem albernen Bleirohr. Sein Puls beschleunigte sich und seine Knie wurden weich. Er hatte das deutliche Gefühl, daß er die letzten Meter nicht schaffen würde.
     
    Julie Lacaize schreckte auf, als es um fünf nach zehn bei ihr klingelte. Verdammt noch mal, sie mochte es nicht, wenn sie mitten in einem Film unterbrochen wurde.
    Sie ging zur Tür und sah durch den Spion. Es war dunkel, sie konnte nichts erkennen. Von dem kleinen Hof aus erklärte ihr eine entschiedene und ruhige Männerstimme, es gebe da ein technisches Problem mit ausströmendem Gas auf Höhe des Gebäudes im Bereich von
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