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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Autoren: Fred Vargas
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das Akkordeon auf die Schulter, er hatte zu feuchte Hände, um es weiter unterm Arm zu halten, er hatte Angst, es könne ihm runterfallen. Ohne Akkordeon und ohne Marthe und mit der ermordeten Frau war er erledigt. Er ließ den Blick über die Kreuzung schweifen. In der kleinen Seitenstraße entdeckte er zwei Prostituierte, und das machte ihm wieder Mut.
    Die junge Frau an der Rue Delambre sah, wie ein schlechtgekleideter, häßlicher Typ näher kam, seine Hände ragten aus zu kurzen Hemdsärmeln, er trug eine kleine Tasche über der Schulter, war etwa dreißig Jahre alt und erweckte ganz den Eindruck eines Trottels. Sie wich etwas zurück, es gibt Typen, die man lieber vermeiden sollte.
    »Nicht bei mir«, sagte sie und schüttelte den Kopf, als Clement vor ihr stehenblieb. »Geh zu Gisele.«
    Die junge Frau zeigte mit dem Daumen auf eine Kollegin drei Gebäude weiter. Gisele war dreißig Jahre im Beruf, sie hatte nie Angst vor irgendwas.
    Clement sah sie mit seinen großen Augen an. Es machte ihm nichts aus, zurückgewiesen zu werden, noch bevor er gefragt hatte. Das war er gewöhnt.
    »Ich suche eine Freundin, Marthe«, brachte er mühsam hervor. »Marthe Gardel. Sie steht nicht im Telefonbuch.«
    »Eine Freundin?« fragte die junge Frau mißtrauisch. »Weißt du nicht mehr, wo sie arbeitet?«
    »Sie arbeitet nicht mehr. Früher war sie aber die Schönste an der Mutualite. Alle kannten Marthe Gardel.«
    »Ich bin nicht ›alle‹, und bin auch nicht das städtische Adreßbuch. Was willst du von ihr?«
    Clement wich einen Schritt zurück. Er mochte es nicht, wenn man zu energisch mit ihm sprach.
    »Was will ich von ihr?« wiederholte er.
    Er durfte nicht zuviel sagen, durfte sich nicht verraten. Nur Marthe konnte ihn verstehen.
    Die junge Frau schüttelte den Kopf. Dieser Typ war wirklich ein Trottel, und er redete wie ein Trottel. Da hieß es Abstand halten. Gleichzeitig erregte er ein bißchen Mitleid. Sie sah ihm zu, wie er ganz vorsichtig sein Akkordeon auf dem Bürgersteig absetzte.
    »Wenn ich dich recht verstehe, war diese Marthe aus der Branche?«
    Clement nickte.
    »Gut. Rühr dich nicht vom Fleck.«
    Die junge Frau ging schlurfend zu Gisele hinüber.
    »Da ist ein Typ, der eine Freundin sucht, die inzwischen in Rente ist; war früher in der Ecke Maubert-Mutualite. Marthe Gardel, hast du sowas in deiner Kartei? Bei der Post gibt's sie jedenfalls nicht mehr.«
    Gisele reckte das Kinn. Sie wußte viel, Dinge, die nicht einmal die Post wußte, und das machte sie wichtig.
    »Meine liebe kleine Line«, sagte Gisele, »wer Marthe Gardel nicht gekannt hat, hat praktisch nichts gekannt. Geht's um den Künstler da hinten? Sag ihm, er soll herkommen, ich beweg mich nicht gern von meiner Tür weg, das weißt du.«
    Von weitem gab ihm die junge Line ein Zeichen. Clement spürte, wie sein Herz klopfte. Er hob sein Instrument auf und rannte zu der dicken Gisele. Er rannte unbeholfen.
    »Wie ein Tolpatsch«, diagnostizierte Gisele leise und zog an ihrer Zigarette. »Scheint auf dem letzten Loch zu pfeifen.«
    Clement wiederholte das Manöver mit dem Akkordeon vor Giseles Füßen und hob dann den Blick. »Du fragst nach der alten Marthe? Was willst du von ihr? Zu der alten Marthe kommt man nicht so einfach, besser, du weißt das gleich. Steht praktisch unter Denkmalschutz, da braucht man Genehmigungen. Und du scheinst mir ein bißchen eigenartig zu sein, entschuldige. Ich will nicht, daß ihr ein Mißgeschick passiert. Was willst du von ihr?«
    »Die alte Marthe?« wiederholte Clement.
    »Ja, und? Sie ist über Siebzig, weißt du das nicht? Kennst du sie nun oder nicht?«
    »Ja«, sagte Clement und wich einen halben Schritt zurück.
    »Der Beweis?«
    »Ich kenne sie, sie hat mir alles beigebracht.«
    »Das ist ihr Job.«
    »Nein, sie hat mir beigebracht zu lesen.«
    Line fing an zu lachen. Gisele warf ihr einen strengen Blick zu.
    »Lach nicht, blöde Gans. Du hast keine Ahnung vom Leben. Sie hat dir beigebracht zu lesen?« fragte sie Clement dann etwas sanfter.
    »Als ich klein war.«
    »Ja, das ist ganz ihre Art. Was willst du von ihr? Wie heißt du?«
    Clement strengte sich an. Da war der Mord, die ermordete Frau. Er mußte lügen, erfinden. ›Klein e, du denkst dir was aus.‹ Das war das Schwierigste dabei.
    »Ich will ihr Geld zurückgeben.«
    »Das geht«, erwiderte Gisele. »Die alte Marthe ist immer knapp bei Kasse. Wieviel?«
    »Viertausend«, sagte Clement aufs Geratewohl.
    Das Gespräch ermüdete ihn. Es war
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