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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Autoren: Fred Vargas
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Ärger gemacht?«
    »Er hat nichts getan. Aber alle andern wollen ihm was anhängen.«
    »Wer, alle anderen?«
    »Die Arschlöcher.«
    »Verstehe.«
    »Ich verzieh mich, Gisele. Ich verlaß mich fest auf dich. Und sag vor allem Line Bescheid. Und umarme deine Kleinen von mir. Und denk daran, ein bißchen zu schlafen.«
    Die beiden Frauen umarmten sich von neuem, und Marthe entfernte sich mit kleinen, raschen Schritten. Bei Gisele machte sie sich keine Sorgen. Selbst wenn sie, sobald das Phantombild veröffentlicht wäre, kapieren würde, daß Clement der Mörder der beiden Frauen war, würde sie die Klappe halten. Jedenfalls so lange, bis sie zu Marthe kommen würde, um zu berichten. Schwieriger war es dagegen, Ludwig davon zu überzeugen, daß er ihr helfen mußte. Daß Clement bei ihr lesen gelernt hatte, würde Ludwig nicht notwendigerweise als Beweis seiner Unschuld hinnehmen. Wie hieß nur dieses verdammte Lesebuch? Unerhört, daß sie sich nicht mehr daran erinnern konnte. Sie sah den Umschlag noch genau vor sich, mit einem kleinen Bauernhaus, einem Hund und einem kleinen Jungen.
    Le Chien de René.
    Genau. So hatte das Buch geheißen.
     

6
     
    Marthe lauschte zunächst an Ludwigs Tür, um sicherzugehen, daß er noch wach war. Er war zwar ein Typ, der erst gegen drei Uhr morgens schlafen ging oder sich nachts draußen herumtrieb, aber sicher ist sicher. Sie zögerte noch, sie hatte ihm nicht Bescheid gegeben und ihn seit fast drei Monaten nicht gesehen. Es hieß, Ludwig interessiere sich nicht mehr für Vermischte Nachrichten. Und Marthe, die sich aus ziemlich unklaren Gründen selbst für einen Fall hielt, der unter diese Rubrik fiel, fürchtete, ihre Freundschaft mit dem Deutschen sei mit dem Ende von dessen kriminologischen Ermittlungen erledigt. Ludwig war einer der seltenen Typen, die die alte Marthe beeindrucken konnten.
    »Ludwig!« rief sie und trommelte an die Tür. »Muß dich stören, ein dringender Fall.«
    Mit dem Ohr an der Tür hörte sie, wie der Deutsche seinen Stuhl zurückschob und ruhigen Schrittes zur Tür kam. Er beschleunigte selten seinen Gang.
    »Ludwig«, wiederholte Marthe, »ich bin's, die alte Marthe.«
    »Natürlich bist du es«, sagte Louis, als er öffnete. »Wer sollte sonst gegen zwei Uhr morgens hier im Flur herumbrüllen? Du weckst noch das ganze Haus.«
    »Ich habe geflüstert«, sagte Marthe und trat ein.
    Louis zuckte mit den Achseln.
    »Du kannst nicht flüstern. Setz dich, ich habe gerade Tee gemacht. Bier habe ich keins mehr.«
    »Hast du die Zeitung gelesen, das zweite Verbrechen? Was sagst du dazu?«
    »Was soll ich dazu sagen? Häßliche Sache, das kann man dazu sagen. Setz dich.«
    »Es stimmt also, was so erzählt wird? Daß du aufgehört hast?«
    Louis verschränkte die Arme und sah sie an.
    »Ist das dein dringender Fall?« fragte er.
    »Ich frag ja nur. Daran ist nichts Schlechtes.«
    »Nun ja, es stimmt, Marthe«, erwiderte er und setzte sich ihr mit verschränkten Armen und ausgestreckten Beinen gegenüber. »Früher bin ich dafür bezahlt worden, Schlamm aufzurühren. Es wäre bedenklich, damit heute weiterzumachen.«
    »Verstehe ich nicht«, sagte Marthe mit gerunzelter Stirn. »Das war schon immer bedenklich, und mich wundert, daß du das erst heute mitkriegst. Mach die Arbeit doch lieber, sie liegt dir ja schließlich.«
    Louis schüttelte den Kopf.
    »Im Augenblick interessiere ich mich ausschließlich für Bismarck und für Behälter, um Schuhe wegzuräumen. Siehst du, das bringt uns nicht sehr weit.«
    »Was ist das für ein ›B‹ auf deiner Hand?«
    »Mein Einkaufszettel. B wie Bier, Behälter und Bismarck. Warum bist du gekommen?«
    »Ich hab's dir schon gesagt, Ludwig. Wegen dieses Verbrechens. Na ja ... wegen der beiden Verbrechen.«
    Ludwig schenkte den Tee ein und lächelte.
    »Ach so? Hast du Angst?«
    »Darum geht es nicht«, erwiderte Marthe achselzuckend. »Es ist der Mörder.«
    »Wie, der Mörder?« fragte Louis, ohne ungeduldig zu werden.
    »Nichts. Er ist bloß gerade bei mir. Er schläft. Es schien mir wichtig, dir das zu sagen, ob du nun aufgehört hast oder nicht.«
    Marthe goß sich Milch in die Tasse und rührte mit angespanntem Körper und gleichgültigem Ausdruck eifrig um.
    Louis war sprachlos. Er atmete tief durch und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Er war unentschlossen, er mißtraute Marthes Manövern.
    »Marthe«, fragte er langsam und deutlich, »was hat der Mörder in deiner Hütte zu suchen?«
    »Hab ich dir doch
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