Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
kennst du wohl auch besser als ich?«
    »Was sagt denn Clement?«
    »Daß er die beiden Frauen gekannt hat, daß er sie überwacht hat, daß er ihnen Topfpflanzen gebracht hat. Er ist wirklich der Typ, den sie in der Zeitung beschreiben. Daran besteht kein Zweifel.«
    »Aber er hat die beiden Frauen natürlich nicht angerührt, was?«
    »Das stimmt, Ludwig.«
    »Und warum hat er sie überwacht?«
    »Er weiß es nicht.«
    »Nein?«
    »Nein, er sagt, das wäre ein Auftrag gewesen, den man ihm erteilt hätte.«
    »Wer?«
    »Er weiß es nicht.«
    »Ist dieser Typ eigentlich total bekloppt?«
    Mit zusammengepreßten Lippen saß Marthe einen Moment da, ohne etwas zu sagen.
    »Genau darum geht es, Ludwig«, sagte sie erregt, »das ist der Punkt. Er ist nicht ... na ja ... nicht sehr helle.«
    Marthe trank einen großen Schluck Wein und seufzte. Louis betrachtete die Teetassen, die sie beide nicht angerührt hatten. Er erhob sich langsam und stellte sie in den Ausguß.
    »Also«, sagte er, während er die Tassen spülte, »warum versteckt er sich unter deiner Decke, wenn er nichts getan hat?«
    »Weil Clement denkt, daß er ein Idiot ist, daß die Bullen ihn schnappen werden, sobald er auf die Straße geht, und daß er unfähig ist, aus dieser Falle rauszukommen.«
    »Und du glaubst das alles?«
    »Ja.«
    »Besteht keinerlei Hoffnung, daß du ein bißchen differenzierst?«
    Ohne zu antworten, zog Marthe an ihrer Zigarre.
    »Wie groß ist dein Kleiner?«
    »Mittel. Ungefähr ein Meter fünfundsiebzig.«
    »Breit?«
    »Wo denkst du hin!« erwiderte Marthe und hob ihren kleinen Finger.
    »Warte morgen gegen Mittag auf mich und laß ihn nicht laufen.«
    Marthe lächelte.
    »Nein, meine Liebe«, sagte Louis und schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Illusionen. Ich teile deinen Glauben in diesen Typen wirklich nicht, weit gefehlt. Ich finde die ganze Angelegenheit chaotisch, dramatisch und ein bißchen grotesk. Außerdem habe ich keine Ahnung, was man tun könnte. Für mich zählen im Augenblick meine Schuhschachteln und nichts anderes. Ich hab's dir gesagt.«
    »Das schließt sich nicht aus.«
    »Willst du wirklich zu dir nach Hause?«
    »Natürlich.«
    »Wenn ich dich morgen erdrosselt und voller Scherenstiche auffinde, übernimmst du dann die Verantwortung dafür?«
    »Ich fürchte nichts. Er vergreift sich nicht an Alten.«
    »Siehst du«, murmelte Louis, »in Wirklichkeit bist du gar nicht so überzeugt.«
     

7
     
    Louis Kehlweiler hatte nicht die Willensstärke, um zehn Uhr aufzustehen, wie er es vorgehabt hatte. Er wollte bei Marc Vandoosler vorbeisehen, bevor er zu Marthe ging, und würde zu spät kommen. Er stellte sich vor, wie Marthe angespannt auf ihrem Küchenhocker saß und eine Art einfältige Bestie mit zärtlichen Blicken bedachte. Ganz Frankreich suchte diesen Typen, und Marthe hatte nichts Besseres zu tun, als ihn in ihrem Nest zu verstecken, als ob es sich um eine Nippesfigur handelte. Louis schimpfte vor sich hin und schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. Es würde kein leichtes Spiel werden, zu versuchen, diesen Typen Marthes Beschützerklauen zu entreißen. Mit Sicherheit eine langwierige Angelegenheit, in der man tausend Beweise für seine Verbrechen anführen müßte, bis Marthe schließlich völlig geblendet sein würde. Aber er war sich nicht einmal sicher, daß sie wenigstens dann einwilligen würde, ihn herzugeben.
    Die Bullen zu rufen würde natürlich alles beschleunigen. In zehn Minuten wären sie bei Marthe, würden den Kerl mitnehmen, und die Sache wäre erledigt.
    Das aber wäre brutaler Verrat, und Marthe würde auf der Stelle zusammenbrechen. Nein, es kam natürlich überhaupt nicht in Frage, auch nur irgendeinen Bullen zu alarmieren. Vor allem, weil sie Marthe gleich mitverhaften würden. Erbittert stieß Louis einen Seufzer aus. Er steckte in einer Sackgasse und war gezwungen, einen Mörder zu schützen und Menschenleben aufs Spiel zu setzen, von Marthes Leben ganz zu schweigen, die jederzeit selber dran sein konnte, wenn es diesem Typen gefiele.
    Nervös fuhr er sich mehrfach mit der Hand durchs Haar. Die nächste Begegnung zwischen Marthe, die in diesem Clement nur den kleinen, hilflosen Jungen sah, den sie so sehr geliebt hatte, und ihm, Kehlweiler, der einen Mann mit zerstörter Kindheit sah, der auf die grauenvolle Bahn eines Frauenmörders geworfen wurde, würde nicht leicht werden. Marthe blickte voll Zärtlichkeit auf ihren Schützling, er nur mit Grauen. Und doch mußten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher