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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis
Autoren: Bernd Ulbrich
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drang die Stimme des Vortragenden hier schon deutlicher durch die Mauer von hundertfachem Atmen, Raunen und Füßescharren.
»… einen ungewöhnlichen Fund. Es handelt sich um eine vollständig erhaltene, aber unvollendete Statue des Sonnengottes Rahu, der, wie die Sage berichtet, von den Sternen gekommen war, um der König der Gausiham-Yaks zu werden, des mächtigsten Volkes auf dem Begosh, dem ehemaligen fünften Planeten unseres Sonnensystems.«
Einen Moment später klaffte, verursacht durch eine wogende Bewegung, eine Lücke in dem Wall aus Leibern, und Grom schlüpfte hindurch. Seine Hoffnung endete in einer Sackgasse neben einer Vitrine. Er begnügte sich damit, die erlesen schönen Stücke hinter dem Glas zu betrachten. Es handelte sich ausnahmslos um Kultgegenstände der Prä-Waye-Kultur, Faserwedel, sogenannte Blutschalen, kleine Götzen. Grom stutzte.
Sein Blick haftete an einem etwa sieben Zentimeter hohen Figürchen. Es war die Darstellung der gleichen Gottheit, wie Savatsky sie ihm auf dem Asteroiden geschenkt hatte. Die sitzende Haltung, die eigenartige Schädelform, sie glichen einander bis auf unwesentliche Einzelheiten. Nachdenklich wandte sich Grom ab und lauschte wieder dem Vortrag des Redners.
»Bislang war kein Bildnis des sagenhaften Sonnenkönigs gefunden worden, weshalb seine Existenz von der Wissenschaft in Zweifel gestellt wurde.« Die Stimme heischte Aufmerksamkeit. »Doch mit dieser Skulptur sind nun die letzten Zweifel beseitigt. Fast gleichzeitig wurde ein Gesetzbuch des Königs Rahu gefunden, dem zufolge es verboten war, ihn abzubilden. Das Monument ist demnach in die Anfänge seiner Regierungszeit einzuordnen. Somit ist es etwa fünfundzwanzigtausend irdische Jahre alt.«
Der Redner machte eine Pause, schneuzte sich und gab seiner Zuhörerschaft Gelegenheit, sich umzugruppieren. Grom wandte seinen Blick wieder der Vitrine zu. Savatsky, woher hatte Savatsky die Miniatur gehabt? Sollte er etwa…? Aber nein, das waren Phantastereien. Savatsky war ein verschrobenes Genie gewesen. Nun gut…
»… Oberflächen weisen eine Struktur auf, als wären sie geschmolzen gewesen, als sie bearbeitet wurden. Der Künstler erreichte bei der Gestaltung der Flächen, Rundungen und Kanten ein solch hohes Maß an Exaktheit, wie es uns heute erst mittels elektronisch gesteuerter Instrumente möglich ist. Auf welche Weise dies bei dem technischen Entwicklungsstand des Planeten möglich war, ist nicht zu erklären. Hochinteressant ist weiterhin die Art der Gestaltung, die Auskunft gibt über den künstlerischen und damit philosophischmoralischen Stand der Begosh-Zivilisation jener Zeit.«
Grom verfluchte seinen ungünstigen Standpunkt und begann sich unauffällig nach vorn zu arbeiten. Um ihn herum wurde Murren laut. Jemand trat ihn, mit deutlicher Absicht, kräftig auf den Fuß. Ein Stoß in die Hüfte ließ ihn gegen einen fetten Rücken prallen, der ein weiteres Vorwärtskommen unmöglich machte. Erbittert blieb Grom in dem Menschensumpf stecken. Wer von diesen Ignoranten begriff schon etwas von dem Gehörten? Ihn ging das an, nur ihn.
»Soviel wir heute einschätzen können, ist dieses Kunstwerk das letzte Zeugnis einer lang anhaltenden, dekadenten Entwicklung des Begosh-Volkes, die mit dem Amtsantritt des Königs Rahu ihr Ende fand. Dieser Potentat scheint überhaupt sehr befruchtend auf die künstlerische und wissenschaftliche Entwicklung seiner Zeit gewirkt zu haben. Namhafte Koryphäen der Begosh-Forschung äußerten die Ansicht, daß eine Weiterführung solcher depressiven, dem Leben abgewandten Haltung, wie sie sich in diesem Kunstwerk manifestiert, unweigerlich zum Verfall der Begosh-Zivilisation geführt hätte.«
Der Dicke vor Grom wechselte das Standbein und gab ihm somit Gelegenheit vorbeizuschlüpfen. Langsam, aber zäh arbeitete er sich voran. Der Wald der Museumsbesucher lichtete sich.
»Das größte Rätsel aber«, fuhr der Redner fort, »ist die Herkunft des Materials. Die Analysen haben eindeutig ergeben«, er legte eine Kunstpause ein, »daß es sich bei dem Granit zweifelsfrei um irdischen handelt!«
Grom trat einer Dame auf den Zeh und murmelte zerstreut eine Entschuldigung.
    »Es gelang sogar«, sprach der Museumsführer in die atemlose Stille, »zu ermitteln, daß es sich um Granit aus Ägypten handelt. Eine Expertengruppe ist zur Zeit mit der Aufklärung dieses Phänomens befaßt.«
    Grom hatte die Menschenmauer überwunden. Zwischen den eckigen Schultern zweier Schulmädchen
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