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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis
Autoren: Bernd Ulbrich
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erzeugten seine Schuhsohlen ein schlurfendes Geräusch.
Otis konnte ihn nicht mehr sehen. »Was machst du?« fragte er unruhig.
»Ich kontrolliere unsere Vorräte!«
Samuel hantierte eine Weile unsichtbar, dann erschien er mit einem beladenen Tablett. Aus den Dosen quirlte Dampf. Es roch nach Kaffee und heißen Bohnen. Samuel setzte sich aufs Bett. Otis richtete sich ohne Unterstützung auf und nahm eine Büchse. »Das ist gut«, sagte er.
»Iß«, erwiderte Samuel.
Sie tranken den Kaffee in kleinen Schlucken. Er rann heiß die Kehle hinunter und wärmte angenehm den Magen. Otis überkam eine eigenartige Glückseligkeit. Es war paradox. Er konnte sich nicht erklären, woher das rührte. Vielleicht dauerte es nur noch Tage, bis etwas Lebenswichtiges zu Ende ging, Sauerstoff oder die Energie.
In den vergangenen Tagen war Samuel Antworten darauf geschickt ausgewichen. Es war ihm nicht schwergefallen, denn Otis hatte sich zu schwach gefühlt, den Gefährten durch direkte Fragen in die Enge zu treiben. Vielleicht war er auch froh, daß Samuel ihm nicht eindeutig Auskunft gab, um ihm eine Illusion zu erhalten, wenn er sagte: »Brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Otis stellte die leere Dose zurück. »Wieviel haben wir noch?« Er deutete auf den Behälter.
»Genug.«
»Und von dem andern?«
»Reichlich.«
»He, hör auf damit«, sagte Otis übertrieben entrüstet, »laß dich nicht so ausfragen. Das ist mühsam für einen Kranken.«
»Wie fühlst du dich?«
»Gut genug, um die Wahrheit zu vertragen.« Otis sah den Gefährten an, der seinem Blick nicht auswich. Wieder schien es ihm so, als glänzten Samuels Augen ungesund. Aufmerksam beobachtete er, wie sich über den Augenbrauen des Gefährten kleine Schweißperlen sammelten.
Als wollte er ein verräterisches Mal unsichtbar machen, wischte sich Samuel hastig den Schweiß aus der Stirn. »Der Kaffee war heiß.« Er erhob sich schnell.
Otis blickte auf seinen schmalen Rücken, als er zum Steuerpult ging. Die Bewegungen waren ihm so vertraut, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Dabei wußte Otis nicht einmal, wo auf der Erde Samuel lebte; oder hatte er es vergessen? Es verwunderte ihn, daß er das nicht wußte. Er nahm sich vor, Samuel danach zu fragen.
»Also gut«, sagte Samuel.
»Dreh dich um«, sagte Otis, »ich will dein Gesicht sehen. Kranke belügt man meist.«
Samuel lehnte sich mit dem Rücken gegen das Steuerpult. »Du warst bewußtlos, als ich dich fand. In den vergangenen drei Tagen warst du so schwach, daß ich nicht darüber sprechen wollte.«
»Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen«, sagte Otis.
»Sicher«, entgegnete Samuel, »aber es sind drei Tage. Ich hatte Dienst in der Zentrale. Es passierte kurz vor meiner Ablösung.«
»Ich erinnere mich«, erwiderte Otis. »Ich sollte deine Wache übernehmen. Auf dem Weg hierher muß es geschehen sein.«
»Die Zentrale und ein Stück vom Hauptgang sind heil geblieben. Der Gang hat etwas abbekommen, aber er blieb dicht. Ich fand dich ein paar Meter hinter der Schleuse.« Samuel fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und atmete tief. Er stieß die Luft mit einem eigenartigen, pfeifenden Geräusch aus. Seine Hände lagen, den vorgeneigten Oberkörper stützend, auf der Kante des Pultes.
»Was ist?« fragte Otis.
»Nichts«, erwiderte Samuel, »mir ist warm. – Wir haben für Wochen alles Lebensnotwendige, für mindestens vier, wenn wir sparen, für acht oder zehn.«
Otis dachte nach, dann sagte er: »Es sieht fast zu gut aus, nicht wahr? Wie kommt das?« Er lächelte spöttisch, doch seine Stimme klang ernst. »Du mußt mich nicht belügen.«
»Ich belüge dich nicht«, erwiderte Samuel, »was wäre dir damit gedient?«
»Uns«, korrigierte ihn Otis. »Es geht uns beide an. Jeden Atemzug tun wir gemeinsam, jedes Wort teilt sich zwischen uns auf.«
»Es gibt keinen Grund, dich zu belügen«, sagte Samuel leise. »Für mich ist nur die Wahrheit sinnvoll – und für dich«, fügte er hinzu. Seine Stimme klang fast heiter, als er fortfuhr: »Es sieht doch gar nicht so schlecht aus. Sogar der Schwerkraftgenerator arbeitet noch.«
»Merk’ ich«, sagte Otis. »Wohin bewegt sich unser Blechsarg?«
»Wir haben Glück, wir trudeln auf die Sonne zu, langsam, aber immerhin ist es eine gute Richtung.«
»Möglich«, sagte Otis. »Möglich auch, daß sie uns kurz vor unserem dreihundertsten Todestag finden.«
Samuel grinste. »Glück ist relativ.«
»Mist«, sagte Otis. »Hör auf damit.«
»Wir werden
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