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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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gut!“, erkühnte sich Mark da. „Ich könnte ihm etwas nähen …“
    „In Ordnung“, nickte der Leiter. „Ich veranlasse, dass man es ihm gibt … Und jetzt lassen Sie uns zur Sache kommen, wir planen, hier ein Amateur-Konzert unter Einsatz unserer Gefangenen auf die Beine zu stellen. Es werden Gäste kommen, na was halten Sie von einem Auftritt?“
    Als Mark den Vorschlag hörte, durchzuckte ihn Freude und Schrecken gleichermaßen. Er erschrak, weil Kusma bereits gute zwei Dutzend Diebesgedichte gelernt hatte, die man auf keinen Fall von einer Bühne herab vortragen durfte.
    „Wenn wir uns ein neues Repertoire aneignen könnten …“, sagte Mark langsam und sah Krutschonyj bittend in die Augen. „Wenn ich ein bisschen in der Bibliothek sitzen könnte …“
    „In der Bibliothek sitzen geht, es ist ja hier kein Steh-Karzer!“, scherzte der Leiter und lachte selbst laut über seinen Witz. „Gut, du wirst heute Nachmittag in die Bibliothek gebracht, aber sieh zu, dass du uns nicht hängen lässt! Auch Wolodja wird kommen und zuhören, hm, Wolodja?“
    Der Bub nickte gehorsam.
    Wieder blieb Marks Blick an dem Kind hängen, weil er nicht verstand, was der Sohn des Gefängnisleiters in diesem Gefängnis tat.
    Als hätte er die Gedanken des Arrestanten erraten, seufzte Krutschonyj unerwartet schwer und sagte: „Ja, es gibt niemanden, bei dem ich den Buben zu Hause lassen könnte … nur gut, dass meine Frau die Tochter mit zum Dienst nimmt, denn müssten wir auch noch die Tochter hier …“ Der Leiter des Gefängnisses schüttelte den Kopf.
    Mark nickte mitfühlend.
    Aus irgendeinem Grund stellte er sich vor, dass Krutschonyjs Frau Lehrerin wäre, und um zu sehen, ob er recht damit hatte, und weil er spürte, dass der Leiter in guter Stimmung war, fragte der Künstler ihn danach.
    „Nein“, antwortete Krutschonyj ruhig. „Meine Frau arbeitet im Gefängnis, nur nicht in diesem hier, sondern in einem für Frauen. Eine Straße weiter. Und eigentlich war sie früher Erzieherin in einer Kinderkrippe.“
    „Ein Erzieher ist ja ebenfalls ein Lehrer“, erklärte der Arrestant, für sich selbst ganz unerwartet kühn.
    In derselben Sekunde begegnete er Krutschonyjs etwas angespanntem Blick. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken, und Mark erkannte, dass es Zeit für den Rückweg in seine Zelle war.
    Wieder „zu Hause“, saß der Künstler auf seiner Pritsche, dachte über das Repertoire für ihr künftiges Konzert nach und wartete auf den Nachmittag, an dem man ihn in die Gefängnisbibliothek bringen würde.
    Die Bibliothek war in einer Zehnerzelle untergebracht, aber dank der aus dem Zivilleben angestellten Bibliothekarin sah die Zelle gemütlich und friedlich aus. Die verputzten Wände waren mit sowjetischen Landkarten und mit Plakaten, die zur Arbeit und zum Frieden in der ganzen Welt aufriefen, bedeckt. Die Regale mit den Büchern standen in einigem Abstand voneinander im rechten Winkel zu den Wänden. Und in der Mitte der Bibliothek lagen auf einem schönen Lattentisch zusammengeheftete Zeitungen und Zeitschriften. Der kleine Tisch der Bibliothekarin befand sich neben dem Eingang links in der Ecke.
    Als der Aufseher Mark in diesen Raum führte, erhob sich die Bibliothekarin hinter ihrem Tisch. Mark grüßte sie.
    „Guten Tag“, antwortete sie.
    Der Aufseher blieb noch einen Augenblick – er hatte, wie sich herausstellte, ein Buch des amerikanischen Schrift­stellers Fenimore Cooper bestellt und holte seine Bestellung ab –, er unterschrieb auf dem Ausleihkärtchen und nickte Mark zu.
    „Ich lese ein wenig draußen vor der Tür!“, sagte er und ging hinaus.
    Mark blieb allein mit der Frau zurück, und davon erstarrte alles in ihm.
    Die Frau hieß Valentina Jefremowa. Sie war vor kurzem fünfunddreißig Jahre alt geworden. Gekleidet war sie in ein strenges graues Kostüm: ein schmaler langer Rock und ein Jäckchen.
    „Genosse Krutschonyj hat mir von Ihnen erzählt“, sagte sie freundlich. „Schauen Sie sich dort um, in den Regalen, und ich mache in der Zwischenzeit einen Tee. Man hat mir gerade bevor Sie gekommen sind einen Kessel heißes Wasser gebracht.“
    Mark bewegte sich wie verzaubert zu den Regalen und begann mit den Augen über die Buchrücken zu wandern. Dabei horchte er aufmerksam auf jedes Rascheln, das hinter seinem Rücken zu ihm her drang, von dort, wo diese nette kleine Frau sich befand.
    Nebenbei zog er einen Band Asejew heraus, blätterte darin und stieß auf Verse, die er und
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