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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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mit dem ich gesprungen bin, ist verschollen, und daher kann ich ihm Ihren Gruß nicht ausrichten. Ich war lange krank und erinnere mich daher nicht mehr, worüber ich Ihnen in meinem vorigen Brief geschrieben habe. Bitte entschuldigen Sie.
    Mit freundlichen Grüßen, Klara Rojd

    „Die dumme Gans!“, flüsterte Banow niedergeschlagen und seufzte schwer. „Sie hat nichts verstanden!“
    Er ließ die Hände auf die Knie sinken und blickte schwermütig ins Feuer, das an den Tannenästen mit den schon abgebrannten Nadeln leckte.
    „Genosse Banow, schauen Sie mal!“, erklang wieder die Stimme des Kremlträumers. „Schauen Sie mal hier!“
    Banow hob langsam den Blick.
    Diesmal lag ein dickes Buch in den Händen des Alten.
    Banow las: Lew Schejnin, „Aufzeichnungen eines Untersuchungsrichters“.
    „War schon mal ein Untersuchungsrichter bei Ihnen?“, fragte der Alte.
    „Nein.“
    „Bei mir aber, und mehr als einer, muss ich sagen! Ein wunderbares Volk, diese Untersuchungsrichter. Gebildet, intelligent … Aber wir haben sie im Siebzehner Jahr trotzdem drangekriegt …“
    Banow hörte der Erzählung des Kremlträumers nicht zu. Er verfasste im Geist den nächsten Brief an Klara, klarer und verständlicher, so, dass sie von den ersten Zeilen an begreifen würde, dass er, Banow, es war, der ihr den Brief geschrieben hatte, und nicht dieser unermüdliche Optimist und Träumer.
    Allmählich verfertigte sich in Banows Vorstellung dieser Brief Wort für Wort. Er musste ihn nur noch zu Papier bringen.
    „Sehen Sie, Wasilij Wasiljewitsch“, rief ihn der Kremlträumer abermals. „Das Buch ist mit einem Autogramm versehen, ein Geschenk vom Autor! Von diesem Schejnin. Ich werde es lesen müssen und ihm einen Brief schreiben … Hören Sie mal, Genosse Banow – lesen Sie doch das Buch? Ja?“
    „Gut“, sagte der ehemalige Schuldirektor. „Ich lese es.“
    „Und hinterher schreiben Sie ihm einen Brief, aber die Wahrheit. Wenn Ihnen das Büchlein gefällt, dann schreiben Sie ihm das in meinem Namen, und wenn es Ihnen nicht gefällt, dann schreiben Sie das auch. Man muss der Wahrheit in die Augen sehen können! Ich mag sie nicht sonderlich, diese Schriftsteller, diese schlaffen Intelligenzler!“
    Banow nickte und dachte wieder an seinen Brief.
    Bald verstummte der Kremlträumer und machte sich an sein nächstes Paket.
    Es wurde still am Feuer, und Banow legte den Packen der heute erhaltenen Briefe beiseite, richtete sich das Brett auf dem Knie ein, nahm Papier und Stift und begann einen Brief an Klara zu schreiben. Einen einfachen, verständlichen Brief, aus dem sie sofort alles erraten würde!

Kapitel 41
    Nach dem morgendlichen Ersatzkaffee wurde Mark Iwanow unerwartet zum Gefängnisleiter geholt, dem der Künstler bis dahin noch nicht begegnet war.
    Während er vor dem Aufseher herging, war Mark ein wenig nervös, denn er wusste von den Häftlingen, dass der Gefängnisleiter von eher wüstem Charakter war und mehr mit den Händen, als mit der Zunge redete. Als aber die zahllosen Flure und Abzweigungen hinter ihm lagen und sich endlich vor ihm eine hohe Eichentür öffnete, empfing Mark dahinter der Mensch, vor dem sich hier alle zu fürchten schienen, mit einem freundlichen Lächeln.
    „Du wartest dort!“, brummte er dem Aufseher zu und schloss persönlich hinter Mark die Tür.
    Als Mark auf dem Hocker saß, der am Boden festgeschraubt war, und wartete, bis der Leiter seinen Platz hinter dem breiten Schreibtisch eingenommen hatte, sah er sich um und begegnete zu seinem Erstaunen dem Blick eines sieben- oder achtjährigen Buben. Er saß in einer Ecke des Büros in einer von woher auch immer hier her gelangten Schulbank.
    „Das ist mein Sohn, Wolodja!“, sagte der Leiter des Gefängnisses, der das Erstaunen des Arrestanten bemerkt hatte. „Übrigens, wenn Sie es noch nicht wissen, mein Name ist Krutschonyj.“
    Mark lächelte kaum merklich – als wüsste er seinen Namen nicht, wo doch jeder Häftling ihn in jedem passenden und unpassenden Moment erwähnte.
    „Irgendwelche Klagen?“, fragte Krutschonyj. „Ist vielleicht das Essen schlecht, oder ist es feucht dort in der Zelle?“
    „Nein“, sagte Mark. „Alles ist gut. Nur für den Papagei ist es ein wenig kalt …“
    „Nun, wissen Sie, Genosse Iwanow, unser Gefängnis wurde für Menschen gebaut, nicht für Papageien. Vielleicht kann man ihm irgendein Stück Tuch geben … ihrem Zellengenossen … bloß, was nützt ihm das …“
    „Nein, das wäre
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