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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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Gespräch im Arbeitsraum der Volkskontrolle rieb der Fotograf sich die Hände und machte sich an seine Arbeit. Als Erstes setzte er Dobrynin an den Tisch und plagte ihn zehn Minuten lang mit Bitten, den Kopf ein wenig zu neigen, ein wenig zu lächeln, ein wenig das Kinn und die Brauen anzu­heben. Endlich, nachdem er ein paar Aufnahmen für das künftige Porträt geschossen hatte, nahm er sich Waplachow vor.
    „Sie haben ein sehr interessantes Gesicht!“, sagte der Fotograf, während er ihn professionell musterte. „Wirklich, sehr interessant.“
    Waplachow spürte, wie ihm beklommen zumute wurde.
    Gut, dass Dobrynin, der die Beklemmung seines Freundes erkannte, unerwartet einwarf: „Ein schönes russisches Gesicht, und was für herrliche graue Haare!“
    Da wandte auch der Fotograf seine Aufmerksamkeit Waplachows üppigem grauem Schopf zu.
    „Ja“, sagte er. „Sehr markant! Das gibt direkt das Porträt eines Generals!“
    Am Ende freundeten die Kontrolleure sich sogar ein wenig mit dem Fotografen an und baten ihn, noch von jedem von ihnen ein paar kleine Fotos nur für sie selbst zu schießen.
    Am nächsten Tag brachte der Fotograf den Kontrolleuren fünf postkartengroße Fotos für jeden.
    Am Abend kehrten Dobrynin und Waplachow aus der Fabrik zurück, aßen etwas und beschlossen, jemandem ihre Fotos zu schicken. Waplachow schrieb einen von Herzen kommenden Brief an Tanja Seliwanowa. Auf seinen ersten Brief hatte er keine Antwort erhalten, aber er war davon überzeugt, dass Tanja ihm geschrieben hatte. Dieser Brief hatte Waplachow, der seit den Mantelwerkstätten schon zwei Mal die Adresse gewechselt hatte, einfach nicht gefunden. Nun legte er in den Umschlag sein Foto, auf dessen Rückseite er sorgfältig geschrieben hatte „Der herzensguten Tanja, in Liebe“. Beim vorigen Mal hätte er sich geniert, so offen von seinen Gefühlen zu schreiben. Aber die Entfernung, besser gesagt, die geografische Weite, die nun zwischen ihnen lag, hatte ihn gleichsam mutiger und entschlossener gemacht.
    Dobrynin schrieb zwei Briefe. Einen langen und auch von Herzen kommenden Brief schrieb er an den Genossen Twerin und legte ein Foto mit einer entsprechenden freundschaftlichen Widmung dazu. Über dem zweiten Brief saß Pawel Dobrynin jedoch noch bis Mitternacht. Als Erstes schrieb er die Adresse auf den bei der Post gekauften Umschlag: „Dorf Kroschkino, für Manjascha Dobrynina“. Dann schrieb er: „Liebe Manjascha.“ Und hier gingen Dobrynin die Worte aus, wie dann und wann im Milchkiosk neben der Fabrik die Milch ausging – eben war noch welche da, und plötzlich – schwupps! – gab es keine mehr! Von hier an saß er mit der Füllfeder in den Händen, blickte auf das weiße Blatt Papier und verspürte nur Taubheit und Leere in sich. Schließlich rang er sich mit der Feder auf dem Papier noch ein paar Worte ab: „Ich schicke dir ein Foto. Zeig es den Kindern. Ich grüße dich, in Liebe, Pascha.“
    Es blieben Dobrynin noch drei Fotografien übrig, aber er wusste schon im Voraus, dass er eine davon an seinen alten Freund Woltschanow und eine weitere durch Major Sokolow an das brave Mädchen Soja Matrossowa schicken würde, in das Gefängnis, in dem sie sich jetzt besserte. Auf der Rückseite des Fotos würde er ihr vielmals Glück wünschen, und eine lichte Zukunft, die ganz gewiss auf sie wartete.
    Waplachow blieben noch vier Fotografien übrig, doch er wusste, dass sie ihm eines Tages einmal nützlich wären; aber eine von ihnen, die schönste, würde er seinem Freund Dobrynin schenken.

Kapitel 40
    Zwei Wochen später saß Banow am Feuer und las die Briefe, die sie gerade erhalten hatten.
    Auf der anderen Seite des Feuers öffnete der Alte Päckchen und Pakete und stieß von Zeit zu Zeit freudige oder bedauernde Laute aus. Er war ausgezeichneter Laune und lenkte Banow deshalb alle zwei, drei Minuten von seinen Briefen ab, indem er ihn auf ein weiteres Geschenk hinwies, das man ihm geschickt hatte.
    Als Banow zum fünften oder sechsten Mal hinüber schaute, um zu sehen, was man dem Kremlträumer geschickt hatte, erblickte er in den Händen des Alten ein großes Stück Rauchfleisch.
    „Das ist für heute abend, zum Tee!“, sagte der Kreml­träumer strahlend. „Von den Wolgatataren! Was sind das für brave Tataren! Hm?“
    Banow nickte und machte sich an seinen nächsten Brief.

    Geehrter Genosse Ekwa-Pyris, las er, Danke für Ihren Brief. Der Fallschirmsprung war schon vor längerer Zeit, aber mein Genosse,
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