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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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die Futterklappe in der Eisentür auf, und das lächelnde, hässliche Gesicht des zahnlosen Chropun erschien darin, des Gefangenen, dem man anvertraut hatte, den Behälter mit dem Essen durch die Gefängnisflure zu schieben.
    „Na, Künstler, gib mal die Schüssel her!“, sagte er.
    Mark griff nach seiner Blechschüssel und eilte zur Tür.
    Chropun nahm sie und gab sie mit einer rötlichen Masse gefüllt zurück.
    „Für beide!“, nuschelte er. „Jetzt die Tasse!“
    Dann schlug er die Futterklappe wieder zu.
    Mark trank einen Schluck Karottensud aus der Tasse, sofort war sein Mund voll angenehmer Wärme. Dann, nachdem er ein paar Löffel der breiigen Masse direkt in den Trog des Käfigs gefüllt hatte, machte er sich ans Abendessen.
    Der Brei erschien Mark zu heiß, und er beschloss ein wenig zu warten. Aus dem Käfig klang heftiges Rascheln herüber – Mark blickte hin und sah, wie Kusma sich gierig auf das Essen stürzte.
    „Guten Appetit!“, sagte Mark und lächelte bitter.
    Der Vogel antwortete nicht.

Kapitel 39
    Krasnoretschensk war die Stadt um eine einzige Fabrik. Die Fabrik unterlag der Geheimhaltung, und deshalb fehlte auch die Stadt auf den Landkarten. Aber in den Postverzeichnissen war sie vorhanden, allerdings nicht unter ihrem echten Namen. Sie hieß dort Balabinsk-18. Briefe und Päckchen reisten in die Stadt Balabinsk-18, die dann in Krasnoretschensk ankamen, aber das hatte durchaus alles seine Richtigkeit.
    Als Dobrynin und Waplachow im vorigen Herbst in der Stadt eingetroffen waren, hatte man sie gastfreundlich empfangen. Man hatte sie in einer eigenen Wohnung mit einer eigenen Toilette, einem Waschbecken und einer abgetrennten Küche einquartiert. Gleich am ersten Tag waren sie durch Krasnoretschensk spaziert, sie hatten sich umgesehen und beide bemerkt, dass es in der Stadt eine besondere Luft gab. Die Luft war süßlich und ein wenig berauschend, aber das klärte sich bereits am nächsten Tag, als der Mitarbeiter der Fabrik, den man ihnen zur Seite gestellt hatte, eine Einführungsexkursion abhielt. Hier erst erfuhren sie den vollständigen Namen der Fabrik: Krasnoretschensker Trägerin des Ordens der Roten Fahne und des Sieges, Kirow-Spiritus­fabrik. Mit großem Interesse schritten sie durch die geräumigen dreistöckigen Werkshallen und studierten, so gut sie es vermochten, den mühevollen Weg vom Weizenkorn bis zu dem durchsichtigen edlen Nass. Danach hielten sie sich im Museum der Spiritusfabrik auf, in dem eine junge Frau, die Museumswächterin, sie durch Räume führte, die mit Ausstellungsstücken, Fotografien und Dokumenten angefüllt waren. Das Museum war wirklich interessant, und die Frau behandelte sie auch mit äußerster Aufmerksamkeit. Sehr einfach und leicht verständlich erzählte sie von der Bedeutung des Spiritus vor der Revolution und heutzutage, von der Geschichte der Entwicklung der Spiritusindustrie, von den vielfältigen Möglichkeiten der Verwendung von Spiritus. Am meisten staunte Dobrynin, als er erfuhr, dass mehr als die Hälfte des im Lande erzeugten Spiritus für technische Zwecke verwendet wurde, und keineswegs für die Herstellung von Wodka. Ein einzelner Raum des Museums war dem Beitrag der Fabrik zum Sieg des sowjetischen Volkes über die faschistischen deutschen Eindringlinge gewidmet. Unter Glas standen hier selbstgefertigte Trinkgefäße von der Front, aus Geschosshülsen und Holz, ja sogar aus Lehm und teergetränkter Baumwolle. An die Wand waren mit roten Buchstaben Zeilen aus einem Dobrynin unbekannten Gedicht gemalt: „ IHR HUNDERT GRAMM FRONTWODKA, OHNE EUCH KEIN EINZIGER ANGRIFF! “
    Alles in allem gefiel die Stadt den Volkskontrolleuren sogleich.
    „Was werden wir hier wohl kontrollieren?“, fragte Dobrynin lächelnd Waplachow, als sie am Abend desselben Tages in ihrer Wohnung saßen und sich nach der Exkursion durch die Fabrik und das Fabrikmuseum ausruhten.
    „Wodka?“, vermutete der Urku-Jemze. „Oder Spiritus?“
    Beide lächelten stumm.
    Ihre neuen Pflichten erwiesen sich jedoch als viel ernsthafter, als sie erwartet hatten.
    Der Direktor der Spiritusfabrik, Limonow, ein ehemaliger Flieger und Polarforscher, rief die Volkskontrolleure am nächsten Tag zu sich und sagte: „In unserer Fabrik ist die Disziplin das Wichtigste. Und damit sollen Sie sich bitte befassen. Nach Kriegsende haben die Angestellten in ihren Anstrengungen nachgelassen, mit allen daraus entstehenden Folgen, und das müssen wir unverzüglich
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