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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg
Autoren: Gerbrand Bakker
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Muster im hellen Teig. Er nimmt ein Messer und schneidet eine Scheibe ab. Das Gebäck ist köstlich, er schneidet eine zweite Scheibe ab. Nachdem er sie gegessen hat, faltet er die Folie wieder um den Kuchen. Er steht auf. Schaut den Weihnachtsbaum an und denkt: Ein verlorener Baum. Vom Baum schaut er zu den Taschen der beiden Männer, die vor dem Büfett stehen. Er zögert nur einen Moment. Aus beiden Portemonnaies nimmt er vierzig Pfund, obwohl viel mehr darin ist. Dann steckt er Rutgers Portemonnaie in Antons Tasche und Antons in Rutgers Tasche. Mit einem Plastikbeutel in der Hand und dem Rucksack auf einer Schulter verläßt er das Haus. Draußen überlegt er es sich anders, lehnt den Rucksack neben der Tür an die Hauswand, legt die Plastiktüte darauf und geht wieder hinein. In der Küche schmückt er in aller Ruhe den Weihnachtsbaum ab, legt die Kugeln und Girlanden und zum Schluß die Lichter in eine Schublade des Büfetts. Als er damit fertig ist, zieht er die Fichte aus dem Schiefersplitt in der Zinkwanne und schüttelt sie, bis der Ballen einigermaßen sauber ist. Er trägt den Baum nach draußen auf den neuen Gartenweg, der vor dem hinteren Rasenteil endet. Aus dem Stall holt er den Spaten und gräbt am Kopf des Weges ein Loch. Er setzt die Fichte in das Loch und stampft die Erde fest, bringt dann den Spaten in den Stall zurück. Anschließend nimmt er die Plastiktüte von seinem Rucksack und geht noch einmal in den Keller des Stalls. Dort steckt er Brot, Lammfleisch und Bananen in die Tüte, nimmt eine Flasche Wasser und steigt die Betontreppe hinauf. Er legt die Plastiktüte auf die anderen Sachen im Rucksack und klickt den Deckel fest. Er lockert einen Spannriemen und läßt die Anderthalb-Liter-Flasche Wasser dahintergleiten, bis sie mit dem Boden in einem Seitenfach ruht, wonach er den Riemen vorsichtig wieder anzieht. Dann hebt er den Rucksack auf die Schultern, schließt die Haustür, wie es sich gehört, und geht durch das kissing gate in der Bruchsteinmauer.
    Er überquert den Bach. Er weiß noch nicht, ob er auf dem Weg bleiben oder parallel zum Weg gehen wird, hinter einer dichten Wallhecke. Aber er weiß, daß er einen Tagesmarsch zurück muß. Er hat einfach den falschen Weg genommen. Sometimes a day’s work is for nothing because it leads nowhere , das hat er vor einigen Wochen selbst zu ihr gesagt. Der Fernwanderweg muß über Llanberis auf den Berg führen, dann können Wanderer sich entscheiden, wie sie weiterwollen: zu Fuß oder mit dem Dampfzug. Und vom Gipfel des Yr Wyddfa der Abstieg nach Rhyd Ddu – wobei man darauf hinweisen sollte, daß der Weg über den Grat nicht ganz ungefährlich ist – und dann langsam in Richtung Küste. Aberystwyth wäre ein guter Endpunkt, da gibt es einen Bahnhof. In zwei Stunden nach Shrewsbury. Daß ihm das nicht früher klargeworden ist. Hier ist die falsche Seite des Bergs.
    Er blickt nach Südwesten. Ein paar Stunden Tageslicht hat er noch. Als er in einiger Entfernung Stimmen hört, zögert er einen Moment, bahnt sich dann einen Weg durch die Wallhecke und hockt sich hinter einen Baum. Jemand hat ihm mal erzählt, daß Nägel und Haare von Toten noch eine Zeitlang weiterwachsen. Wie lange, überlegt er, kann etwas Organisches, das nicht mehr gesteuert wird, Blut und Nährstoffe aufnehmen? Er kneift die Augen zusammen. Er will nicht sitzen, nicht nichts tun. Er will gehen, in Bewegung sein. Seufzend schaut er auf die Wiese, die vor ihm liegt, von einer Hecke aus gedrungenen Bäumchen gesäumt. Als kleiner Junge konnte er bei günstigem Wind sogar von hier aus die Stimmen seiner Mutter und der Witwe Evans hören. Nie hatte er sich weiter entfernt, als ihre Stimmen trugen. Noch in zehn oder zwanzig Jahren wird sich hier kaum etwas verändert haben. Erst als er die Männer nicht mehr hört, verläßt er seinen Platz hinter der alten Stechpalme. Er beginnt leise zu pfeifen.
61

    Üppig mach dies Bett.
    Scheu und ehrfurchtsvoll;
    Warte dort auf das Gericht
    Feierlich und hell.

    Die Matratze glatt
    Und das Kissen rund;
    Keiner Frühe gelber Lärm
    Störe diesen Grund.

Anmerkungen
    Die Zitate von Emily Dickinson stammen aus den Collected Poems of Emily Dickinson , New York: Avenal Books, 1982.
    Als Quelle diente außerdem My Wars Are Laid Away in Books – The Life of Emily Dickinson von Alfred Habegger, New York: Random House, 2002.
    Sguthan auf S. 219 ist ein walisisches Wort für »Miststück«.
Iesu grist auf derselben Seite heißt »Jesus
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