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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg
Autoren: Gerbrand Bakker
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auf. »Es wird noch schön«, sagte er.
    »Ja«, bestätigte der Polizist.
    »Es kann natürlich sein, daß sie schon nicht mehr da ist.«
    »Wir werden sehen.«
    »Boxing Day, was ist das eigentlich?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Nach achthundert Metern rechts halten, dann auf die Autobahn . Allmählich ärgerte sich der Mann über Bram, er hatte keine Lust, ihn zu überschreien. Er schloß die Augen und dachte ans Laufen. Mit wieder funktionierendem Fuß, locker. Laufen, atmen, schwitzen, Fäuste ballen gegen Seitenstiche. Allein nach Hause kommen, duschen, sich auf dem Sofa ausstrecken. Sie hatte nie etwas gesagt, hatte ihn in all den Jahren nicht ein einziges Mal gefragt, wie es gewesen war. Manchmal geseufzt. Bei Wettkämpfen hatte sie sich auch nie blicken lassen. Nicht greifbar. Ihm fiel etwas ein, das seine Schwiegermutter gesagt hatte. »Trotzdem ist alles deine Schuld.« Weil er, wie es der Polizist vorhin ausgedrückt hatte, auch kein Muster an Eindeutigkeit war? Das Bein juckte nicht, er vermißte die Stricknadel nicht mehr. Das bedeutete wahrscheinlich, daß unter dem Gips alles in Ordnung war.
    Northop , Brynford , Rhuallt . Bram hatte eine Weile geschwiegen, wahrscheinlich, weil sie auf der A55 waren und noch geraume Zeit bleiben würden. Die Sonne schien jetzt, die Felder und Wälder dampften. Es war schön hier, fand der Mann. Sein Handy begann zu vibrieren, an seiner Brust. Er nahm es aus der Innentasche seiner Jacke.
    »Seid ihr schon da?« Seine Schwiegermutter.
    »Nein.«
    »Wieso denn nicht?«
    »Die Fähre hatte Verspätung, wir mußten in einem Hotel übernachten.«
    »Aber jetzt seid ihr doch bald da?«
    »In ungefähr anderthalb Stunden, schätze ich.«
    »Wie ist das Wetter bei euch?«
    »Schön. Die Sonne scheint.«
    »Hier ist es furchtbar. Gar nicht weihnachtlich.«
    Der Mann warf einen kurzen Blick zur Seite. Der Polizist schaute unbeirrbar geradeaus. »Hier schon. Heute morgen habe ich Sekt getrunken.«
    »Was? Warum denn das?«
    »Hier ist Boxing Day.«
    »Was ist das?«
    »Weiß ich nicht. Zweiter Weihnachtstag.«
    »Findet dein Freund von der Polizei denn den Weg?«
    »Er hat Hilfe. Bram.«
    »Bram?«
    »Ein Navigationssystem.«
    »Aha.« Es war einen Moment still. »Ist er in Uniform?«
    »Nein, warum? Er ist doch nicht im Dienst.«
    »Nein, ich dachte nur, weil ihr sie doch quasi abholen kommt.«
    »Womit aber die Polizei nicht das geringste zu tun hat.«
    »Das ist wohl wahr.« Wieder war einen Moment nichts zu hören. »Dein Schwiegervater möchte wissen, ob es auf der Fähre Kino gab.«
    »Nicht, daß ich wüßte. Aber es war ein sehr großes Schiff. Wir haben einen Clown gesehen, auf einer Bühne.«
    »Hör mal, wenn du da bist, dann sag ihr bitte, daß wir …«
    »Ja?«
    In Amsterdam verständigte man sich kurz. »Also … daß wir sie liebhaben. Und daß wir uns wünschen, daß sie nach Hause kommt. Nicht zu uns natürlich, zu dir.«
    »Zu mir? Wo doch alles meine Schuld ist?«
    »Nein, dein Schwiegervater ist der Ansicht, daß das nicht stimmt. Wir haben noch mal darüber gesprochen.«
    »Aha.«
    »Wir haben sie lieb, auch ihr Vater. Das sollst du ihr sagen. Tust du das?«
    »Natürlich tue ich das. Wenn wir da sind, kann ich ihr auch mein Handy geben, dann kannst du es ihr selbst sagen.«
    »Nein, sag du’s ihr. Dann rufen wir später noch an. Das heißt, nein, du mußt anrufen, wir wissen ja nicht, wann du ankommst. Wie spät ist es da jetzt eigentlich?«
    »Eine Stunde früher als bei euch.«
    »So, ich meine … nicht, daß wir dann gerade essen.«
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Du kannst ihr auch sagen, daß es sich nicht gehört, einfach so zu verschwinden. Daß sie an ihre alten Eltern denken soll. Und daß wir ihr verziehen haben.«
    »Ihr verziehen? Was?«
    »Na ja, das mit diesem … Jeder Mensch tut mal etwas, das er später bereut.« Im Hintergrund war sein Schwiegervater zu hören. »›Das Fleisch ist schwach‹, sagt dein Schwiegervater.« Sie fing an zu weinen.
    Der Mann nahm das Telefon vom Ohr. »Das ist meine Schwiegermutter«, sagte er zum Polizisten. »Sie sagt, das Fleisch ist schwach.«
    Der Polizist blickte ihn kurz von der Seite an. »Wohl wahr«, antwortete er.
    »Noch etwas«, sagte jetzt sein Schwiegervater. Er drückte das Telefon wieder ans Ohr. »Du mußt ihr sagen, wir würden uns sehr freuen, wenn wir zusammen, alle zusammen, Silvester feiern könnten.«
    »Mach ich. Kommt ihr dann hierhin, oder meinst du in Amsterdam?«
    »Hier
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