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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg
Autoren: Gerbrand Bakker
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Seite zu biegen, das Ausbreiten der Plastiksäcke war schwieriger als erwartet –, waren ihre Hände schmutzig, auch die Knie. Sie konnte jetzt ungeniert schwitzen und keuchen. Auf dem kurzen Stück vom Zaun zum Haus kam es ihr so vor, als würde nur die leere Schubkarre sie auf den Beinen halten. Das Tor hatte eine ganze Weile offengestanden, trotzdem waren die blöden Vögel nicht weggelaufen. Sie schlich zum Schweinestall und knipste das Licht aus. Unten blieb es still. Die Stalltür ließ sie offen.
    Immer noch klassische Musik. Sie verstand nichts davon, wußte nicht, was sie hörte, aber klassische Musik schien ihr auf jeden Fall einen größeren Ewigkeitswert zu haben als Weihnachtsevergreens. Sie stellte den Ton noch etwas lauter. Inzwischen war es Viertel vor acht. Auf dem Küchentisch war die Ordnance Survey Map ausgebreitet. Snowdon / Yr Wyddfa . Manchmal schaute sie auf die grünen gestrichelten Linien, verengte die Augen zu Schlitzen, um all diese Wege auf ihrem Grundstück, möglichst sogar auf der Gänseweide zusammenlaufen zu lassen. Die Ansichtskarte von ihrem Mann lag auf der Landkarte, mit der beschriebenen Seite nach oben. Daneben Dickinson, als müßte das so sein, aufgeschlagen. Im Wohnzimmer ging der Ofen allmählich aus; auch wenn sie Holz hätte nachlegen wollen, hätte sie es nicht gekonnt: Der Vorrat war aufgebraucht. Sie aß noch zwei Bananen, schaffte es auch, sie bei sich zu behalten. Vermutlich mußte sie erst eine Art Grundlage schaffen. Hin und wieder ging sie zur Anrichte oder zum Büfett, auf dem eine Taschenlampe stand, die hatte sie irgendwann aus einer Schublade ausgegraben, zusammen mit neuen Batterien. Langsam, halbglasweise, leerte sie die Weißweinflasche. Chardonnay. Alkohol half, glaubte sie zu wissen. Den Wein hatte der Junge gekauft. Kein einziges Mal verspürte sie den Wunsch, den Fernseher einzuschalten. Um acht Uhr ging sie die Treppe hinauf.
    Das Wasser war heiß, an der Grenze des Erträglichen. Nichts als Wasser heute abend, keine Native Herbs . Sie hatte das Badezimmerfenster geöffnet; wenn sie nicht zu laut planschte, konnte sie den Bach fließen hören. Sie starrte auf ihren Spann. Eine schöne Narbe hatte sich gebildet. Zum Glück beschlug schon der Spiegel, trotz des offenen Fensters. Sie versuchte sich zu entspannen, horchte dennoch die ganze Zeit, das Ich komme auf der Karte versetzte sie in Unruhe. Rhys Jones’ Be sure war ein Imperativ und hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Be its mattress straight . Sie schloß die Augen. Bienen, Klee, weiße Rosen, eine Frau, die ein Bett macht, mit weiten Bewegungen ein Laken ausschüttelt, ein Laken, das auf eine glatte Matratze hinabschwebt, ein knisternder Bezug um ein mit Gänsedaunen gefülltes Kissen. Ample make this bed . Sie öffnete die Augen, starrte zur Deckenlampe hinauf. Konjunktiv. Das Be war ein Konjunktiv. Dickinson hatte nicht die gewöhnliche Wortstellung gewählt und its mattress be straight / its pillow be round geschrieben, wie sie auch nicht einfach make this bed ample schrieb. Festhalten, nur noch einen Moment. An nichts denken, liegenbleiben, bis mein ganzer Körper warm ist und ich spüre, daß mir nicht so schnell wieder kalt werden wird. So warm, daß mir lieber kalt wäre. Zwanzig Minuten später zog sie frische Sachen an, eine Hose, eine Bluse, einen weiten Pullover. Weiße Sportsocken. Dann ging sie nach unten. In der Küche ein allerletztes halbes Glas Weißwein. Ein Blatt Papier, ein brauner Stift, sie sah den Jungen damit Kringel zeichnen. Ein Blatt Papier, das eigentlich für einen Gartenplan bestimmt war. Schon nach wenigen Minuten war sie fertig, schüttelte nur den Kopf, weil sie nicht begriff, wie sie es so lange hatte übersehen können. Viertel vor neun. Sie stöpselte das Radio aus und schaltete um auf battery . Die Musik hatte nur ein paar Takte übersprungen. Die Lichter am Weihnachtsbaum ließ sie an, auch die Lampen in der Küche, im Wohnzimmer, Bad und Arbeitszimmer. Sie setzte die violette Mütze auf. Die Haustür schloß sie nicht ab.
    Sie ging über die Zufahrt zur Gänseweide, unterm Arm das Radio, das dünne Lichtbündel der Taschenlampe beleuchtete den Weg. Keine Sterne, der Himmel hatte sich wirklich bezogen. Ganz leichter Nieselregen. Sie stieg über das Tor, was sie sehr anstrengte, anschließend lehnte sie sich einen Moment dagegen und suchte mit dem Lichtbündel die Gänse. Sie ließen sich nicht einfangen, natürlich nicht. Dann hob sie das Radio wieder
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