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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg
Autoren: Gerbrand Bakker
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können, zurück über die Mauer. Der Hund, der an seinem Bein saß, hatte gezittert, so gern wollte er zu seinem Herrn. Sie hatte ihm ein Zeichen gegeben, ein unverständliches, aber ein Zeichen. Vielleicht deshalb.
    Früher konnte er hier aufrecht stehen, mußte sich sogar strecken, um durch das Fenster etwas sehen zu können. Seine Mutter und die Witwe Evans, die auf komischen Stühlen am Bach saßen, im Schatten der Erlen. Hier im Keller war es immer kühl, er begriff nicht, warum sie im Freien blieben. Auf einem wackligen Tischchen zwischen ihren Stühlen standen ein paar Gläser lemon yellow mit Eiswürfeln. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, beobachtete die Frauen, horchte auf die Stimme seiner Mutter, die manchmal laut »Bradwen!« rief, und dann die der Witwe Evans: » You know where he is, let him be. « Und immer standen sie auf, wenn sein Vater zu den Stühlen und dem Tischchen kam, fertig mit den Schafen, fertig zum Aufbruch, Schweiß auf Stirn und Nase.
    Die Vögel verstummen, vielleicht merken sie, daß es Boxing Day ist, auf jeden Fall gerade erst Winter, kein schöner Tag im Mai. Er beginnt auf den grünen Platten hin und her zu wandern, gebückt, stemmt sich noch einmal gegen die Klappe, die natürlich immer noch nicht nachgibt. Staub rieselt auf die Betonstufen. Er stellt sich ein Kleinkind vor, auf einer Schaukel oder mit einem widerspenstigen Ball vor den kurzen Beinchen. Nach einiger Zeit tut ihm der Rücken weh, deshalb legt er sich auf die Kissen. Kalt ist ihm jetzt nicht mehr. Er wünscht sich, Sam wäre bei ihm; obwohl der Hund immer etwas zurückhaltend blieb, sich dauernd umblickte, nicht bedingungslos sein Hund war. Er öffnet seine Hose und zieht eine Decke über sich.
    Stunden später, als er gerade ein Stück kaltes Lammfleisch ißt, hört er ein Auto. Kein wegfahrendes, ein ankommendes. Er verhält sich still, unterbricht für einen Moment sogar das Kauen. Lieber sitzt er in einem Keller fest, als seinem Vater jetzt schon zu begegnen. Be sure to have enough cash for the lost geese . Als wäre die Frau der Fuchs, der die Gänse frißt. Autotüren werden zugeschlagen, dumpf und in einiger Entfernung, der Wagen hat nicht direkt beim Haus gehalten. Zwei Männerstimmen. Sie wollten doch nicht vor dem 1. Januar kommen. Schritte auf dem Weg. Es ist kein Walisisch, was er hört, es klingt wie ihre Sprache, er erkennt die harten Kehllaute, die seltsamen Vokale. Er blickt sich um. Und noch einmal. Die blühenden Pflänzchen, das kalte Fleisch, die zwei Weinflaschenkerzenhalter. Er zieht seine Schuhe an und setzt sich die Mütze auf. Dann ißt er noch ein Stück Lammfleisch mit einer Scheibe Brot, trinkt dazu ein Glas Rotwein. Als er mit dem Essen fertig ist, beginnt er gegen die Klappe zu hämmern.
    »Wer bist du?« fragt der eine der beiden Männer. Ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren.
    »Bradwen«, sagt er. »Bradwen Jones.«
    »Wo ist Agnes?« Das fragt der andere, er hat ein Gipsbein und stützt sich auf Krücken.
    »Wer?«
    »Agnes. Aus Amsterdam.«
    »Hier wohnt keine Agnes. Wer seid ihr?«
    Die Männer haben sich in den Türrahmen gestellt, keiner von beiden antwortet. Der Junge steht auf den Betonstufen. Zwischen ihren Beinen hindurch scheint ihm grelles Sonnenlicht in die Augen, er legt die Hand an die Stirn.
    »Keine Agnes?« fragt der Mann mit dem Gips.
    »Nein.«
    »Was machst du da unten?« Das fragt der andere Mann, der genau solches Haar hat wie er, nur viel kürzer.
    »Sie hat mich hier eingesperrt. Emily.«
    »Emily?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Gestern nachmittag.«
    »Wo ist sie?«
    »Das weiß ich nicht. Ist sie nicht im Haus?«
    »Nein. Warum hat sie dich eingesperrt?«
    Der Mann mit dem Gips sagt etwas auf niederländisch zu dem anderen Mann. Er gestikuliert, nennt noch einmal den Namen Agnes. Der schwarzhaarige Mann schaut die ganze Zeit ihn an, auch wenn er dem anderen Mann antwortet. Er hält die Latte in der Hand. Endlich geben die Männer die Tür frei. »Komm«, sagt der Mann mit den schwarzen Haaren. Der Junge klettert die letzten Betonstufen hinauf. Der Mann lehnt die Latte an die Wand und steigt in den Keller hinunter, der Junge riecht ihn, als er nah an ihm vorbeigeht, ein frischer, starker Aftershave-Geruch. Der Mann mit dem Gips hinkt auf seinen Krücken zum Haus. Der Junge wartet, bis der andere wieder aus dem Keller kommt, und geht dann vor ihm her zur Haustür, die weit offen steht. Er schaut nach dem Spalierbogen. Die eine weiße Rose, die vor ein paar
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