Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg
Autoren: Gerbrand Bakker
Vom Netzwerk:
der Polizist, Anton, hätte sicher nichts dagegen. Er öffnet die Augen und steigt aus der Wanne. Beim Abtrocknen schnuppert er. Emily hat gesagt, daß sie die Witwe Evans riecht. Er riecht sich selbst, und er mag seinen Geruch. Als er kurz danach die Tür des Arbeitszimmers öffnet, um frische Sachen aus seinem Rucksack zu holen, sieht er, daß auch die Matratze verschwunden ist.
    Der Junge steht an der Hausecke. In fünfzig Metern Entfernung sieht er den großen schwarzen Wagen, mit dem die Männer gekommen sind. Die Sonne scheint immer noch, kurz vorher hat er oben durchs Flurfenster das Meer glänzen sehen. Vor ihm liegt die Gänseweide. Sie ist leer. Er geht den Zufahrtsweg hinunter, nah am Zaun. Als er an dem schwarzen Wagen vorbei ist, dreht er den Kopf, weil er im Rauschen des Bachs Blasinstrumente zu hören glaubt. Trompeten. Das Gras der Gänseweide ist sehr kurz, jeden Stengel haben die Vögel bis zum Boden abgefressen. Der Junge steigt über das Tor und geht langsam, immer langsamer, auf das Gänsehäuschen zu. Die Trompetenklänge kommen nicht vom Wasser her, sie dringen durch das Dach. Damals vor einem halben Jahr schien auch die Sonne, aber es war viel wärmer, die Eichen waren grün, der Stechginster auf der Schafweide gelb, das Gras wuchs so schnell, daß die Gänse mit dem Fressen nicht nachkamen. Er läßt sich auf die Knie fallen. Wegen der Bretter und des Drahtgeflechts bietet sich ihm erst ein unvollständiges Bild. Ein Stück der Matratze. Die Musik ist nicht besonders laut, aber deutlich zu hören. Nun sieht er, daß die Matratze auf einer Unterlage aus Müllsäcken liegt, die vier Gänse sitzen um die Frau herum, sie beginnen leise zu schnattern, als sie ihn bemerken. Eine scheint auf den Beinen der Frau zu ruhen und zischt jetzt sogar, als wäre sie eine Wächterin. Etwas Violettes sieht er auch; sie hat ihre Mütze aufgesetzt. Genug jetzt.
    Er steht auf. A woman with a very nice, purple knitted cap. She’s tired. She didn’t make it to the top, but that’s not the end of the world. It’s Christmas, and time she went home. There is cooking and drinking to be done . An jedes Wort erinnert er sich. Es war ja auch erst gestern. What do you see? lautete ihre einfache Frage, bei der sie, stur und ein bißchen verlegen, nicht ihn anschaute, sondern den Wassertank. Unbeschreiblich schön war sie in diesem Moment. Noch nie hatte er sie so gesehen. Überwältigend schön; wie ein Baum oder Strauch, der in dem Jahr, bevor er abstirbt, noch möglichst viele Blüten treibt. Aber auch das hatte er ihr nicht gesagt. Emily.
    Bevor er wieder über das Tor steigt, dreht er sich um. Blickt über die Gänseweide und die Schafweide ohne Schafe. Er denkt an drei tote Frauen, zwei hier, eine in ihrem Bett in dem Haus in Llanberis. Kurz bevor sie starb, sagte seine Mutter noch etwas, er hätte es fast nicht verstanden, so sehr nahm ihn ihre Schönheit in diesem Augenblick gefangen. Go , hatte sie gesagt. If you want to, or if you have to, go . Dann hatte sie die Augen geschlossen. Er betrachtet den Himmel, der blau ist. Sieht die hölzernen Masten mit den Stromleitungen, Stechginster, Eichen, ein paar Krähen, einen kaputten orangefarbenen Futtertrog im Gras, einen Stacheldrahtzaun. Und natürlich das Häuschen, aus dem immer noch Musik zu hören ist. Reichlich Schatten, sogar hinter dem kaputten Futtertrog, viel mehr als im letzten Sommer. Das ist alles, abgesehen von einer einsamen Wolke in der Ferne. Sehr leise Musik, das Rauschen des Bachs. Er lächelt. So hatte sie es sich nicht vorgestellt, denkt er. Let no sunrise’ yellow noise interrupt this ground.
    Der Junge packt seinen Rucksack. Das ist schnell getan, kein einziges Mal hat er alle Sachen herausgeholt. Bevor er das Arbeitszimmer verläßt, sieht er noch den kleinen Bücherstapel auf dem Tisch durch. Er steckt The Wind in the Willows ins Deckelfach seines Rucksacks, weil auf dem Umschlag ein Maulwurf, eine Kröte und eine Ratte abgebildet sind. In der Küche schaut er aus dem Fenster. Keine Spur von dem Mann und dem Polizisten. Er setzt sich an den Tisch und betrachtet das Blatt Papier. Ihre Handschrift. Niederländisch. Nur ein einziges Wort erkennt er, Bett. Auch auf der Ansichtskarte Unverständliches, zwei Wörter. Zum ersten Mal sieht er ihren Namen, es steht tatsächlich Agnes auf der Karte. Auch der Name Rutger. Er greift nach dem rechteckigen Päckchen und löst die Alufolie. Eine Art Kuchen kommt zum Vorschein, mit einem dunkelbraunen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher