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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman
Autoren: Christina McKenna
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angehn lassen«, sagte er, stellte das leere Whiskeyglas zur Seite und griff nach dem Portwein. »Und das muss ich auch mal sein lassen.« Er starrte ins Glas, aber es gelang ihm einfach nicht, Schuldgefühle wegen seiner täglichen Gewohnheit aufzubauen. »Aber was soll ich denn dann mit mir anfangen, wenn ich das nich mehr hab, he?«
    Er kippte den süßen Wein in einem Zug herunter, knallte das Glas auf den Tisch und rülpste. Sein Gesicht glühte und eine Welle reinen Glücks überschwemmte ihn. Eine Minute lang. Er schwankte leicht auf dem Hocker und wischte sich mit der Hand über den Mund.
    »Noch einen Kleinen, bitte, Slope.«
    Der Kneipenbesitzer wollte ihn eigentlich wieder loswerden, aber ohne richtig unhöflich zu werden, und so ließ er das Aufräumen sein und ging wieder hinter den Tresen.
    »Nur, wenn du dafür zahlst, Jamie.«
    Er knallte das Geschirrtuch auf die Theke und begann, sie mit langsam kreisenden Bewegungen abzuwischen, während Jamie mit demHaufen Münzen vor sich beschäftigt war. Zu Slopes Enttäuschung hatte er genug Geld dabei und so stellte Slope ihm noch ein Glas Portwein hin.
    Dann schüttelte er eine Zigarette aus einem verkrumpelten Päckchen und steckte sie an. Er war sich bewusst, dass der Farmer auch eine haben wollte, aber es machte ihm Spaß, ihn soweit zu erniedrigen, dass er um eine bitten musste.
    Jamie rutschte unruhig auf seinem Hocker hin und her. Er hatte seine Zigaretten absichtlich zu Hause gelassen, damit Dr. Brewster sie nicht bei ihm finden konnte. Jetzt würde er alles für eine geben.
    »Hättest du wohl eine für mich, Slope?«
    Die Männer nahmen tiefe Züge, bliesen den Rauch in die Luft und schwiegen angespannt. Es war ein unbehagliches Schweigen, das sich wie ein straffes Seil zwischen ihnen über einen Abgrund aus jahrelanger Abneigung spannte. Aber sie brauchten einander: Slope brauchte Kundschaft und Jamie den Drink. Auf dieser Grundlage basierte ihre Beziehung.
    Die Sonne schien so heiß durch das große, fliegenverdreckte Fenster, dass Jamies Augen tränten und Slopes schlampige Bodenpflege deutlich zutage trat. Draußen dröhnte ein Laster auf der Straße nach Killoran vorbei. Jamie spürte die Vibration der Reifen unter seinen Ellenbogen auf dem Tresen, Slope unter seinen Kreppsohlen. Jemand pfiff dem Laster hinterher und kaum war der Pfiff verklungen, kam Miss Maisie Ryan auf ihren orthopädischen Sandalen herein, um das Geld aus der Pater-Pio-Spendenbüchse abzuholen, die Slope auf der Theke aufgestellt hatte.
    »Der Sohn von Minnie Sproule is ’n unverschämter Lümmel«, beschwerte sie sich. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, stand der Geruch von Mottenkugeln und Pfefferminz im Raum. Sie stellte einen gemusterten Baumwollbeutel auf dem Tresen ab.
    »Na, wie geht’s, Maisie?« Slope strich die Asche ab.
    »Nicht so gut, Mr O’Shea, mit meiner schlimmen Hüfte und den Ballen zehen, das macht mich fertig. Aber ich bete jeden Morgen um Genesung, mehr kann man nicht tun.” Sie wandte sich an Jamie.
    »Und wie geht es Ihnen, Jamie? Ich hab Sie neulich im Gottesdienst gar nicht gesehen.«
    »Nee, ich war im Bett, ich habs am Rücken, Maisie. Der Arzt sagt, es ist mein Ischias, und ich hab haufenweise Tabletten gekriegt.«
    Slope drehte die Büchse um und begann das Geld zu zählen, wobei er sorgfältig wie ein Croupier Türmchen aus Kupfer- und Nickelmünzen aufstapelte. Maisie sah ihm dabei zu, während Jamie Maisie beäugte. Er sah einen Bullterrier im Tweedmantel mit einer stark spiegelnden Brille. Durch die Brillengläser waren Maisies Augen in dem aufgedunsenen Gesicht riesig, und ihr kleiner Mund war – wie fast immer – verachtungsvoll gespitzt. Sie trug ihre übliche Strickmütze, die sie heute trotz der Sommerhitze bis über die Ohren gezogen hatte.
    Maisie hatte sich mit Leib und Seele der Kirche und der Weltverbesserung verschrieben. Sie war die pochende Arterie des Dorftratsches. Mit scharfer Zunge richtete sie über das Leben anderer, und jedes Gemeindemitglied wurde an ihren eigenen, unerreichbar hohen Maßstäben gemessen. Slope ging fast nie zur Kirche, aber er war entschuldigt, denn er war ein verheirateter Geschäftsmann, was bei Maisie mit Respektabilität gleichzusetzen war. Jamie, ein armer Junggeselle mit einem Alkoholproblem, bot eine viel bessere Zielscheibe.
    »Wenn Sie mehr Zeit in der Kirche als in der Kneipe verbringen würden, würde Gott Ihnen vielleicht gar keinen kaputten Rücken geben, Jamie«, sagte sie
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