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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman
Autoren: Christina McKenna
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verwandt gefühlt hatte, als sie ihn vor einigen Wochen das erste Mal gesehen hatte, wie er in diesen grotesken gelben Schuhen auf das Ocean Spray zugelaufen war und sie das Bedürfnis gehabt hatte, ihn vor der grässlichen Gladys zu schützen. Und auf der Promenade hatte sie gewusst, dass er geweint hatte, und hätte ihn so gerne getröstet. Dann das schicksalhafte Treffen im Royal Neptune Hotel, das sie so sehr bereut hatte. Wie merkwürdig das Leben ist, dachte sie. Weil ich in der Stunde ihres Todes nicht bei meiner Mutter gewesen bin, habe ich meinen Bruder gefunden. Ein göttlicher Handel, den ihr Vater, der vielmehr ihr Adoptivvater war, sicherlich gutgeheißen hätte.
    Sie setzte sich aufs Bett, überrascht, wie viel sie eigentlich schon über James – ihren Bruder James – wusste. Obwohl sie sich erst einmal getroffen hatten. Er hatte einen Hund namens Shep. Er spielte Akkordeon. Er fuhr Trecker, aber kein Auto. Er trank Whiskey und rauchte viel zu viel. Er konnte Rosinenkekse ohne Margarine backen, zwei Stunden auf der Herrentoilette verschwinden und hatte dreitausendeinhundertneunundzwanzig Pfund und fünf Pence auf dem Postsparbuch.
    James Kevin Barry Michael McCloone war ihr Bruder. Sie liebte diese Vorstellung und sie war sich sicher, dass sie ihn auch lieben würde. Sie war doch nicht allein auf der Welt, sagte sie sich und tänzelte die Treppehinunter. Jetzt war es fünf Uhr. Sie würde eine Tasse Tee trinken, sich umziehen und ihm noch heute einen Besuch abstatten.
    Das Telefon klingelte, als sie gerade kochendes Wasser in die Teekanne goss.
    »Hier ist Rose McFadden. Spricht dort Miss Lydeea Devine?«
    »Ja.« Sie erkannte die Stimme nicht, auch wenn ihr der breite Akzent bekannt vorkam. »Entschuldigen Sie bitte, kennen wir uns?«
    »Oh, dem Himmel sei Dank! Ich hatte ja gleich das Gefühl, dass James die falsche Nummer gewählt hat. Ja, Miss Devine, wir haben uns vor drei Wochen im Royal Neptune Hotel kennengelernt. Ich bin eine Freundin von James McCloone.«
    »Oh, Rose! Schön, von Ihnen zu hören.«
    Lydia wollte ihr lieber nicht gestehen, dass ihre Tante James eine Abfuhr erteilt hatte. Und vom Tod ihrer Mutter würde sie ihr auch nichts erzählen, es war jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
    »Ich rufe für James an, Lydeea. Er hat mich darum gebeten, denn wissen Sie, er ist schrecklich enttäuscht. Er wollte Sie anrufen, aber er muss sich verwählt haben, denn irgendeine andere Frau ist rangegangen und hat ihn so was von angeschnauzt. Und ich wusste doch, Lydeea, dass eine Dame wie Sie so was nich macht.«
    Rose unterbrach ihren atemlosen Monolog. Lydia nutzte die Chance.
    »Das tut mir aber leid, Rose. Ich wollte James gerade besuchen gehen. Ich muss dringend mit ihm sprechen. Ich habe eine großartige Nachricht für ihn.«
    »Ach, du meine Güte. Das wird ihn aber freuen. Er könnte ein paar gute Nachrichten brauchen. Aber können Sie mir ’n Gefallen tun, Lydeea, und erst bei mir vorbeikommen? Wir wohnen ganz nah bei ihm, denn wissen Sie, ich glaube nich, dass James es so gut findet, wenn Sie einfach so vor seinem Haus stehen, ohne ihm ein, zwei Tage Zeit zu geben, falls Sie wissen, was ich meine, Lydeea.«
    Rose stoppte, es hörte sich an, als müsse sie niesen.
    »Gesundheit«, sagte Lydia.
    »Danke schön. Nun, wo war ich stehen geblieben? Ach so, ja, bei Männern und dem Saubermachen und so. Sie wissen doch, wie Männer sind, wenn da keine Frau ist, die hinter ihnen herräumt. Und wenn sie ihr Bett nich machen, bleiben sie manchmal bis zum Abend drin liegen und frühstücken im Schlafzimmer und schlafen in der Küche, so isses doch.«
    Lydia hielt es für geboten, Roses Wortschwall nicht zu unterbrechen.
    »Ich hatte mal einen Onkel, der hätte sich auf dem Bett das Frühstück machen können, und dazu hätte der gar nich mal aufstehn müssen. Ob Sie’s glauben oder nich. Einmal kam ich zu ihm, da hatte er die Pfanne auf dem Gasbrenner neben dem Bett und es brutzelte wie verrückt und er war beim Braten fast eingeschlafen.«
    Lydia fand, dass das dem Frühstück im Bett nochmal eine ganz neue Wendung gab. Sie konnte Roses Logik nicht ganz folgen, hatte aber den Eindruck, dass sie mit James’ Erfüllung seiner häuslichen Pflichten nicht einverstanden war, und sie deshalb eingeladen hatte, ihn bei sich zu treffen.
    »Aber wissen Sie, Lydeea ...«
    »Ich verstehe vollkommen«, sagte Lydia. »Sagen Sie mir einfach, wie ich zu Ihnen finde. Ich bin in einer Stunde
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