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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum
Autoren: Emile Zola
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Der Traum
Book Jacket
    Series: Rougon-Macquart [16]

    Tags: Roman
    »Der Traum«, der 1888 nach einem Vorabdruck in der »Revue illustrée« als Buchausgabe bei Charpentier erschien, ist in der »Rougon-Macquart«-Reihe zweifelsohne der künstlerisch schwächste Roman. In seiner Thematik und in der Atmosphäre der Darstellung unterscheidet er sich offensichtlich von Zolas üblicher Art. So liegt die Frage nahe, was Zola zur Abfassung dieses Buches bewogen hat, das ein Jahr nach dem Skandalerfolg seines Bauernromans »Die Erde« erschien und dem 1889 ein weiterer »echter« Zola, der Eisenbahnerroman, »Das Tier im Menschen«, folgte. Ein Teil der Kritiker wollte in diesem Roman einen wenn auch misslungenen Versuch Zolas sehen, durch ein »zahmes« Werk die Herren der Akademie seiner eventuellen Wahl geneigter zu stimmen. Aber diese Erklärung ist doch wohl zu simpel. Sicher hat Zola mehrmals seine Kandidatur angemeldet, doch ebenso vergeblich wie Henri Becque, sein Kollege von der Sparte der naturalistischen Dramatik, und wie vor ihm oft die bedeutendsten Schriftsteller ihrer Zeit, so ein Balzac, ein Molière. Es wäre naiv gewesen, anzunehmen, dass ein Buch, für den braven Geschmack der Kleinbürgerinnen und höheren Töchter geschrieben, die unangenehmen Wahrheiten der übrigen Bände bei den »40 Unsterblichen« vergessen machen würde.Zum anderen steht jedoch fest, dass »Der Traum« in den Planentwürfen nicht vorgesehen und die Zentralgestalt dieses Romans, die in die Genealogie der »Rougon-Macquart« gehört, Angélique, die ausgesetzte Tochter Sidonies, auf dem Stammbaum der Familie aus dem Jahre 1878 nicht eingetragen war. Aber dieser Stammbaum sah ausdrücklich mit seinen leer gelassenen Zweigen die Möglichkeit vor, entsprechend den späteren Erfordernissen der Gesamtreihe weitere Familienmitglieder hinzuzufügen, und ebenso enthielt auch die Gesamtplanung mit der Festlegung der großen Themenkomplexe noch einige freie »Kästchen«, in die bei Bedarf neue Sujets eingesetzt werden konnten.

Émile Zola

Der Traum
Roman
    Band 16 - der Rougon-Macquart
Der Traum; (Le rêve 1888)
Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem
Zweiten Kaiserreich
     

     
     
    TUX - ebook 2010
     
     

DER TRAUM

Kapitel I
    Während des strengen Winters 1860 fror die Oise zu, dicker Schnee bedeckte die Ebenen der unteren Picardie1; und dazu kam vor allem ein heftiger Wind aus Nordosten, der Beaumont am Weihnachtstag fast im Schnee begrub. Der Schneefall, der gleich am Morgen eingesetzt hatte, wurde gegen Abend noch stärker, und während der ganzen Nacht türmten sich die Schneemassen. In der Oberstadt, in der Rue des Orfèvres, an deren Ende die Nordfront des Querschiffes der Kathedrale gleichsam eingekeilt ist, stob der Schnee, getrieben vom Wind, und schlug an das SanktAgnesTor, das uralte romanische, beinahe schon gotische Tor, das unter dem kahlen Giebel mit Skulpturen reich verziert war. Am nächsten Morgen lag er dort bei Tagesanbruch fast drei Fuß hoch.
    Die Straße schlief noch, träge von dem Feiern am Heiligen Abend. Es schlug sechs Uhr. In der Dunkelheit, die beim langsamen und beharrlichen Flockenfall bläulich wirkte, lebte nur eine undeutliche Gestalt, ein kleines neunjähriges Mädchen, das unter die Bogenrundungen des Tores geflüchtet war, dort, vor Kälte zitternd, die Nacht zugebracht und, so gut es ging, vor Wetter und Wind Schutz gesucht hatte. Die Kleine war in Lumpen gehüllt, der Kopf mit einem Stoffetzen umwickelt, die nackten Füße steckten in groben Männerschuhen. Zweifellos war sie dort erst gestrandet, nachdem sie lange die Stadt durchstreift hatte, denn sie war hier vor Müdigkeit hingesunken. Für sie war dies das Ende der Welt, niemand und nichts mehr, äußerste Verlassenheit, nagender Hunger, mörderische Kälte; und in ihrer Schwäche von der schweren Last ihres Herzens erstickt, gab sie den Kampf auf, es blieb nur dieses rein körperliche mechanische Zurückweichen, der Instinkt, hin und her zu rücken, sich in diese alten Steine zu verkriechen, wenn ein Windstoß den Schnee aufwirbelte.
    Stunden um Stunden verrannen. Lange hatte sie sich an den Mittelpfeiler zwischen den beiden ganz gleichen Toröffnungen gelehnt, der eine Statue der heiligen Agnes2 trug, der dreizehnjährigen Märtyrerin, eines kleines Mädchens wie sie selbst, mit dem Palmenzweig in der Hand und einem Lamm zu seinen Füßen. Und im Giebelfeld über dem Torbogen entrollte sich als Hochrelief in naiver
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