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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt
Autoren: Arno Strobel
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spätestens um 19:00 Uhr wieder einzufahren. Vorbei.
    Jetzt.
    Er wandte sich ab und ging los. Weg vom Knast, raus aus der Gerichtsstraße, auf die Bülowstraße zu. Dort würde er in einen Bus steigen und zum Bahnhof fahren. Dann mit dem Zug zwei Stunden bis Aachen. Er hatte den Freigang genutzt, hatte eine Wohnung gefunden. Die Stadt hatte sich kaum verändert in den letzten zwölf Jahren. Er schon.
    Tief sog er die Luft in seine Lungen, horchte in sich hinein. Frei. Müsste er jetzt nicht glücklich sein? Er stieß ein freudloses Lachen aus. Er wusste genau, dass das, was er empfand, ihm selbst am meisten schadete. Er wusste, wie er hätte dagegen ankämpfen können, das war schließlich sein Job gewesen, vor langer Zeit. Und doch – er war nicht glücklich, wollte nicht glücklich sein.
    Zwölf Jahre.
    Und die Wut war wieder da.

1
    22. Juli 2009
    Kriminalhauptkommissar Bernd Menkhoffs Handy klingelte, als wir nur noch wenige Meter von der Garagenauffahrt seines Einfamilienhauses im Aachener Stadtteil Brand entfernt waren. Während er umständlich sein Telefon aus der Hosentasche fingerte, lenkte ich den A6 an den Straßenrand. Seit 16 Jahren waren wir Partner, und die meiste Zeit davon setzte ich ihn abends zu Hause ab und nahm ihn am nächsten Morgen wieder mit.
    »Ja«, meldete sich Menkhoff knapp und senkte den Kopf ein wenig, während er dem Anrufer zuhörte. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach sieben, hoffentlich nichts Dienstliches mehr. Den Motor des Audi ließ ich laufen, die Klimaanlage blies angenehm kühle Luft in den Innenraum. Draußen war es drückend.
    »Ja, der bin ich«, sagte Menkhoff neben mir mürrisch. »Woher haben Sie diese Nummer?« Er hörte wieder eine Zeitlang zu, dann kniff er die Augen zusammen. »Was?«
    Es
war
etwas Dienstliches.
    »Aha. Und wie kommen Sie darauf?« Menkhoffs Stimme hatte einen unpersönlichen Klang angenommen. »Sagen Sie mir bitte erst mal Ihren Namen.« Es vergingen weitere Sekunden, dann ließ er das Handy sinken. »Aufgelegt.«
    »Anonym?«
    »Ja. Eine Männerstimme. Hat was erzählt von einem kleinen Mädchen, das angeblich seit mehreren Tagen verschwunden ist. In der Zeppelin-Straße.«
    »Nicht gerade die feinste Gegend. Und?«
    »Was und? Sonst nichts.«
    Er öffnete die Beifahrertür und sagte beim Aussteigen: »Bin gleich wieder da.«
    Ich sah ihm nach, wie er über die Auffahrt zur Haustür ging, aufschloss und im Inneren verschwand.
    Schon nach sieben. Melanie wartete zu Hause auf mich. Ich sah die herrlichen Rinderhüftsteaks vor mir, die ich an diesem Abend für uns beide zubereiten wollte. Es sollte ein romantisches Essen werden, mit Rotwein und Kerzen, eine kleine Entschädigung dafür, dass es in letzter Zeit oft sehr spät geworden war. Seit meiner Beförderung zum Oberkommissar ein paar Monate zuvor … –
    Die Beifahrertür wurde geöffnet, und Menkhoff ließ sich wieder in den Sitz fallen. »Alles in Ordnung, Frau Christ bleibt da und passt weiter auf Luisa auf.« Er deutete mit dem Kopf nach vorne. »Nun fahr schon los.«
    Ich dachte an die Steaks und legte mit einem Seufzer den Gang ein. Vielleicht war der Anrufer ja nur ein Spinner, das kam öfter vor. Vielleicht wären wir in zwanzig Minuten wieder zurück.
    Als ich vor einer Ampel an der Trierer Straße anhalten musste, sah ich zu Menkhoff herüber, der sein Handy in das Ablagefach der Mittelkonsole warf. »Keine Nummer, klar.« Er strich sich eine Strähne seiner von silbernen Fäden durchsetzten schwarzen Haare aus der Stirn. »Unterdrückt.«
    Zehn Minuten später standen wir vor einem Mehrfamilienhaus, dessen Außenfassade dringend einen Anstrich nötig gehabt hätte.
    »Im ersten Stock links, hat der Kerl gesagt«, erklärte Menkhoff. Ich betrachtete die Reihe verwitterter Holzfenster, die zur ersten Etage gehören musste, und stieg aus.
    Die Haustür hatte kein Schloss, das Treppenhaus war ähnlich heruntergekommen wie die Fassade. Die meisten Kanten der ausgetretenen Betonstufen waren abgebrochen, hingekritzelte Klosprüche und Fäkalausdrücke bedeckten die Wände. Die wenigen nackten Glühbirnen ließen ihr diffuses, abweisendes Licht auf uns fallen.
    Die Wohnungstür im ersten Stock links war an mehreren Stellen beschädigt und sah aus, als hätte vor langer Zeit jemand versucht, sie einzutreten. Ein Namensschild gab es weder auf dem braunen Holz noch an dem schmutzigen Klingelknopf daneben. Mit angewidertem Gesicht drückte Menkhoff auf die Klingel, woraufhin hinter
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