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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt
Autoren: Arno Strobel
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furchtbare Traum fiel ihr wieder ein und jagte ihr augenblicklich einen heißen Strom durch den Körper. War es am Ende gar kein Traum gewesen? War sie vor Erschöpfung zusammengebrochen, nachdem sie dem Wagen nachgerannt war, in dem dieser Kerl mit der Tätowierung ihr Kind entführt hatte?
    Sie riss die Augen auf. Binnen Sekunden legte sich ein Schweißfilm auf ihre Stirn. Die Panik, die kurz zuvor schon einmal im Anmarsch gewesen war, kehrte mit Riesenschritten zurück.
    Denk nach, Sibylle, du musst nachdenken. Kann das sein?
    Sie musste sich zusammenreißen und sich an Einzelheiten erinnern. Aber die Bilder blieben bruchstückhaft, verwaschen. Und da war etwas anderes, das sich in ihrer Erinnerung einen Platz ganz vorne erkämpfen wollte.
    Den Blick gegen die Decke gerichtet, auf die sich der grüne Schimmer der Monitore als phosphoreszierender Film gelegt hatte, versuchte sie sich darauf zu konzentrieren, was sie zuletzt getan hatte, bevor sie in diesem Zimmer aufgewacht war?
Ich habe … –,
sie spürte, dass die Erinnerung zum Greifen nah war, es hatte nichts mit Lukas zu tun.
    Wieder schloss sie die Augen, und da endlich huschten erste Szenen an ihrem Inneren vorbei, schemenhaft noch und zu schnell, als dass sie sich an einem von ihnen festhalten konnte. Doch dann, ganz langsam, kristallisierten sich erkennbare Fragmente heraus und reihten sich zu einer Sequenz aneinander.
    Es ist Abend. Ich hab mit Elke beim Griechen in Prüfening gegessen und bin zu Fuß auf dem Weg nach Hause. Es ist fast Mitternacht und noch sehr warm, mindestens 20 Grad. Elke hat mir angeboten, mich mit dem Auto nach Hause zu bringen, aber ich wollte lieber zu Fuß.
Sie blinzelte.
Die Abkürzung … durch den kleinen Park … hohe Hecken. Das wenige Licht, vom Halbmond milchig durch die dünnen Wolken gedrückt, macht sie zu tiefschwarzen Wänden. Hinter mir knirschende Schuhe auf dem Schotterweg … ich drehe mich … –
    Sibylles Atem ging schneller, während sie krampfhaft versuchte, sich weiter zu erinnern. Sie hörte sich selbst aufstöhnen und riss die Augen wieder auf.
    Was war in dem Park geschehen? War sie überfallen worden? Hatte man sie vielleicht sogar … Mit einer hastigen Bewegung tauchte ihre Hand unter die Bettdecke, strich über ihren flachen Bauch nach unten, dorthin, wo sie vielleicht Schmerzen haben musste, falls …
    Es fühlte sich alles unversehrt an.
    Sie zog ihre Hand zurück, spürte dabei aber einen stechenden Schmerz dort, wo das Laken über den Handrücken rieb. Sie hob die Hand und betrachtete den fast kreisrunden Bluterguss mit dem kleinen, dunklen Punkt in der Mitte, wo offenbar eine Infusion nicht sauber angelegt worden war.
    Sie lag also ohne erkennbare Verletzungen in einem Krankenhaus und hatte offensichtlich an einer Infusion gehangen. Kein Mensch war weit und breit, den sie hätte fragen können, nicht einmal Johannes. Überhaupt – wenn sie überfallen worden war oder einen Unfall gehabt hatte – wieso stand Hannes nicht besorgt an ihrem Bett, für den Fall, dass sie aufwa… –
Weil er sich um Lukas kümmern muss. Lukas.
    Aber wo waren die Ärzte und Schwestern, die sich um
sie
kümmerten? Und wie spät mochte es eigentlich sein?
    Die Klingel. An jedem Krankenhausbett gab es eine Klingel. Sie suchte über, hinter und neben sich nach einem Knopf oder etwas, das nach einer solchen Vorrichtung aussah. Sie fand nichts dergleichen und ließ sich in das Kissen zurücksinken.
    Was war das für ein seltsames Krankenzimmer, in dem sie lag? Ohne Fenster und ohne eine Möglichkeit für den Patienten, sich bemerkbar zu machen?
    Wie in einer Gruft,
dachte sie und stöhnte ungewollt laut auf. Die imaginäre Hand an ihrem Hals drückte wieder zu, und dieses Mal meinte sie es ernst. Die Luft, die Sibylle in kurzen, schnellen Zügen einsog, konnte nicht mehr bis in die Lungen vordringen. Einem Impuls folgend wollte sie aufspringen und sich alles vom Körper reißen, sich von allem Ballast befreien in der Hoffnung, dann wieder durchatmen zu können.
Ich muss … –
Das Geräusch einer Tür, die geöffnet wurde, ließ sie erschrocken herumfahren. Auf der rechten Seite des Raumes zeichneten sich vor einer Lichtflut die dunklen Umrisse einer Gestalt ab. Es sah gespenstisch aus, wie ein Scherenschnitt, aber zumindest war sie nicht mehr alleine. Der Druck auf ihre Kehle wurde schwächer, das Gefühl des Erstickens ebbte ab.
    »Sie sind wach, wie schön«, sagte eine dunkle, angenehme Männerstimme,
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