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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt
Autoren: Arno Strobel
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während die schwarze Gestalt sich in Bewegung setzte. Zwei Sekunden später erkannte Sibylle mit klopfendem Herzen das schmale Gesicht eines etwa fünfzigjährigen Mannes unter einem vollen, schwarzen Haarschopf. Er lächelte sie an.
    Die fast zierliche Gestalt, die nicht so recht zu der sonoren Stimme passen wollte, war in den weißen Kittel eines Arztes gehüllt, der mindestens zwei Nummern zu groß war. Die Schulternähte hingen bis über die Oberarme herab, die Enden der Ärmel waren mehrfach umgeschlagen. Aus der Tasche hing das Bruststück eines Stethoskops. Das Namensschild auf seiner Brusttasche wies ihn als Dr. E. Muhlhaus aus.
    Der Mann blieb stehen und betrachtete sie interessiert, als warte er auf eine Reaktion von ihr.
    »Wo … wo bin ich hier? Was ist passiert?« Sie empfand ihre eigene Stimme als dünn und brüchig.
    Das Lächeln des Mannes wurde breiter. »Im Krankenhaus. Sie sind gerade aus einer tiefen Bewusstlosigkeit erwacht. Ich werde Ihnen gleich alles erklären, aber es ist wichtig, dass Sie mir zuerst ein paar Fragen beantworten.«
    Sibylle schüttelte den Kopf, soweit es die Kabel zuließen. »Nein, bitte, sagen Sie mir doch, was mit mir los ist. Was ist passiert?«
    Eine zartgliedrige Hand legte sich vorsichtig auf ihren Handrücken mit dem Bluterguss. »Gleich. Erst müssen Sie mir bitte meine Fragen beantworten.«
    Sibylle ließ den Kopf auf das Kissen zurücksinken und starrte gegen die Decke.
    »Also gut. Fragen Sie.«
    »Können Sie mir bitte Ihren Namen sagen?«
    »Sibylle Aurich.«
    »Wo wohnen Sie?«
    »In Prüfening.«
    Muhlhaus nickte, noch immer lächelnd. »Sehen Sie mich doch bitte einmal genau an. Kennen Sie mich?«
    Sie musterte ihn genau. »Nein, nicht dass ich wüsste. Was soll die Frage? Sollte ich Sie denn kennen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, Frau Aurich, es ist sehr unwahrscheinlich, dass Sie mich kennen. Ich bin Chefarzt dieses Krankenhauses und versuche mit meinen Fragen lediglich herauszufinden, ob mit Ihnen alles in Ordnung ist. Was offensichtlich der Fall zu sein scheint.«
    »Nichts ist in Ordnung«, fuhr Sibylle auf und merkte selbst, dass ihre Stimme schrill klang. »Ich bin in diesem dunklen Raum ohne Fenster aufgewacht und weiß immer noch nicht, wieso. Ich … ich bin verkabelt wie ein Messgerät, und es gibt hier nicht mal eine Klingel und … Herrgott, jetzt sagen Sie mir doch endlich, was mit mir passiert ist!« Sie konnte nichts dagegen tun, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
    Dr. Muhlhaus nickte verständnisvoll und hob die Hand. »Frau Aurich, was ist denn das Letzte, an das Sie sich erinnern können?«
    Schluchzend erzählte sie ihm von dem Abend beim Griechen und ihrem Heimweg durch den Park. Als sie am Ende ihrer Schilderung angekommen war, zeigte Muhlhaus sich zufrieden. Er zog einen Stuhl herbei, der oberhalb ihres Kopfendes gestanden hatte, und setzte sich.
    »Man hat Sie in dem Park mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen und sie ausgeraubt«, erklärte er. Als er sah, wie Sibylle zusammenzuckte, fügte er schnell hinzu: »Sie sind nicht vergewaltigt worden. Aber der Schlag auf den Kopf war so stark, dass Sie lange Zeit nicht bei Besinnung waren, Sie ha… –«
    »Wie lange?«, unterbrach sie ihn.
    Er betrachtete seine manikürten Fingernägel, bevor er sie wieder ansah. »Sehr lange, Frau Aurich. Knappe zwei Monate.«
    Sein Blick hatte sich verändert, während er das sagte, er schaute jetzt kritisch, taxierend wie ein Forscher, der die Reaktion eines Versuchstieres auf eine Injektion beobachtet.
    Sibylle hatte das Gefühl, als ob das Krankenhausbett mit ihr darin zu schaukeln beginne. Sie legte sich die Hand auf den Mund und flüsterte gegen die Handfläche: »Zwei Monate? Oh mein Gott.«
    Dr. Muhlhaus saß stumm und nahezu bewegungslos neben ihr, während Sibylle versuchte zu verstehen. Acht Wochen lang sollte sie nicht bei Bewusstsein gewesen sein? Was konnte in acht Wochen alles geschehen?
Was ist mit … –
»Wo ist mein Sohn? Ist er bei meinem Mann? Geht es ihm gut? Und Johannes auch?«
    Der Gesichtsausdruck des Arztes veränderte sich schlagartig, und eine Faust bohrte sich in Sibylles Magen.
    »Was ist mit Ihnen? Warum sehen Sie mich so seltsam an? Ist was mit Lukas?«
    Dr. Muhlhaus steckte die Hände in die Taschen des geöffneten Arztkittels, der zu beiden Seiten des Stuhls bis fast auf den Boden herabhing, und legte den Kopf ein wenig schräg. »Erzählen Sie mir von dem Jungen«, forderte er sie in einem
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