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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt
Autoren: Arno Strobel
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diesem Moment.
    »Herr Menkhoff und Herr Seifert, welch eine unangenehme Überraschung«, begrüßte Lichner uns in einem Tonfall, als hätte er gesagt: ›Wie schön, Sie zu sehen.‹
    »Lichner.« Menkhoffs Stimme klang heiser. »Was zum Teufel tun Sie hier?«
    Der Psychiater hob eine Braue. »Eine merkwürdige Frage, Herr Hauptkommissar, wenn man bedenkt, dass
Sie
vor
meiner
Tür stehen.«
    Mein Partner war offensichtlich vollkommen durcheinander, er schien nach Worten zu suchen, und ich hatte das Gefühl, ihm helfen zu müssen. »Wir haben einen anonymen Anruf erhalten«, sagte ich so sachlich wie möglich. »Angeblich soll aus dieser Wohnung ein kleines Mädchen verschwunden sein.«
    Innerhalb eines Sekundenbruchteils veränderte sich Lichners Gesichtsausdruck.
    »Ach, ein kleines Mädchen? Und da dachten Sie, schauen wir doch präventiv mal beim guten, alten Dr. Lichner vorbei. Falls wir wieder mal vollkommen erfolglos herumermitteln, können wir ihm ja noch mal was anhängen. Was einmal funktioniert hat, wird doch bestimmt wieder klappen, oder wie?«
    »Der Anrufer hat konkret diese Adresse genannt, Herr Lichner«, schaltete sich Menkhoff ein, der sich offenbar wieder gefangen hatte. »Wir müssen dem nun mal nachgehen. Also, wohnt hier ein kleines Kind?«
    »Welches Kind soll denn hier wohnen, Herr Hauptkommissar? Hier wohne ich und sonst niemand. Außerdem … –«, er zeigte mit ausgestrecktem Daumen über die Schulter, »meinen Sie, man könnte einem Kind einen solchen Schweinestall zumuten? Hm?«
    »Herr Dr. Lichner«, schaltete ich mich ein, »uns geht es nur um diesen Hinweis, und Ihre persönliche Wohnsitu… –«
    »Leider kann ich mir momentan nichts anderes leisten«, fiel er mir ins Wort. »Es ist nicht ganz leicht für einen verurteilten Kindermörder, einen Job als Psychiater zu bekommen, wissen Sie?«
    »Das ist mir … –«, setzte Menkhoff an, wurde aber ebenfalls von Lichner unterbrochen: »Ich habe gehört, sie hat Sie verlassen?«
    Sekundenlang starrten die beiden Männer sich an, und während Lichner dabei fast teilnahmslos wirkte, sah Menkhoff aus, als wolle er dem Psychiater an den Hals springen. Ich wusste, dass Lichner Salz in eine Wunde streute, die noch lange nicht verheilt war.
    »Das geht Sie einen Dreck an, Lichner«, zischte Menkhoff. »Ich möchte einen Blick in Ihre Wohnung werfen. Lassen Sie uns jetzt sofort rein oder erst in einer halben Stunde mit Durchsuchungsbefehl?«
    Dr. Lichner machte einen Schritt zur Seite und zeigte mit einer großzügigen Geste ins Innere der Wohnung. »Nein, bitte, treten Sie doch ein. Aber ich werde Sie im Auge behalten, Herr Hauptkommissar. Wenn Sie belastendes Material in meiner Wohnung verstecken, dann werde ich das bemerken.«
    Ohne darauf einzugehen betrat Menkhoff an ihm vorbei die Wohnung. Als ich an Lichner vorbeiging, sagte er leise: »Ich hoffe, Sie lassen das nicht wieder zu, Herr Seifert.«
    »Reden Sie keinen Blödsinn«, sagte ich und folgte Menkhoff. Die Wohnung war wirklich ein Schweinestall, und ich fragte mich, wie es möglich war, dass ein gebildeter Mensch so hausen konnte. Andererseits – gebildete Menschen taten manchmal die unfassbarsten Dinge.
    Das Zimmer, vor dem wir standen, mochte 15 Quadratmeter groß sein, vielleicht auch weniger, und es roch darin nach Feuchtigkeit und Schimmel wie in einem alten Kellerraum. Die Wand links neben der Tür wurde in ihrer ganzen Länge von einem wackelig aussehenden, vergammelten Holzregal eingenommen, auf dem sich jede Menge verstaubter Plunder stapelte. Als Unterschrank für den verkratzten Fernseher an der Wand gegenüber diente eine Obstkiste, davor standen zwei ausgefranste, braune Sessel, die vom Sperrmüll stammen mussten, und eine speckige Holzplatte auf einer Bierkiste diente als Tisch, in einer aufgeklappten Pappschachtel darauf lag der Rest einer Pizza. Die geblümte Tapete war ebenso fleckig wie der braune Teppich, an manchen Stellen waren lange Fetzen herausgerissen.
    »Scheiße«, sagte Menkhoff und ließ den Blick weiter durch das Zimmer wandern.
    »Wenn ich gewusst hätte, dass ich noch hohen Besuch bekomme, hätte ich die Putzfrau kommen lassen.« Lichners Stimme hinter mir troff geradezu vor Sarkasmus. Menkhoff sah an mir vorbei. »Ihre Zelle im Knast war bestimmt sauberer.«
    »Ja, vielleicht. Aber sie roch stark nach … Korruption.«
    Einmal mehr überging Menkhoff Lichners Anspielung und wandte sich mir zu. »Los, schauen wir uns die anderen Räume an,
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