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Der Träumer

Der Träumer

Titel: Der Träumer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lebenskreises: es sind Ruhe, Glück und Einkehr in das Ich. Haben Sie schon einmal die Möglichkeit der Erfüllung auch nur eines einzigen dieser Wünsche gesehen?«
    Ich schweige, muß ja schweigen, weil ich lügen müßte, denn gerade heute fühle ich, wie ich mich selbst erkenne.
    Ich kann es dir nicht sagen, Paulchen, denn du würdest jetzt, ja gerade jetzt, an leere, vielleicht sogar trügerische Worte glauben, und ich will doch deiner Seele die Heiligkeit des Lebens schenken mit eben dieser Kenntnis meiner eigenen Person, um auch dein Leben zu wandeln.
    Denn Sonne wird noch um uns sein, wenn wir im Winter unseres Lebens stehen …
    Die Stunden verfliegen, ich habe mit der Zeit zu leben, und doch ist jeder Drang nur ein sinnendes Verweilen. Was nützt es mir – ich muß den verrinnenden Minuten stumm mich unterordnen und an der Schwelle des Verständnisses mich und Paulchen daran erinnern, daß der Abschied naht.
    So gerne möchte meine Zunge noch liebe Worte sprechen, zu feurig dringt die Sehnsucht in den Adern mir zum Kopf – und doch wäre jeder Satz wohl auch wieder nur leichtes Geplauder und drehte sich pirouettenhaft um unser drängendes Gefühl.
    Ich muß jetzt gehen, Paulchen, es ist Zeit, in einer Stunde fährt der Zug mich in die Einsamkeit zurück. Bis zum Bahnhof ist ein ziemliches Stück zu gehen. Soll ich in dieser letzten, verfliegenden Frist noch sagen, was du mir bedeutest?
    Nein, hier ist der Sturm verfehlt, der brausend unser Herz entblättert. Nur langsam wächst in uns der heilige Glaube, denn von der Wurzel nur dringt gut der Lebenssaft in alle Adern.
    Ich schaue auf die Uhr und sehe deine Augen ängstlich meinem Blicke folgen.
    »Es ist schon spät … in einer Stunde fährt mein Zug … ich muß wohl gehen«, sage ich und lächle, wie mir selbst verzeihend.
    Sie schüttelt protestierend die blonden Locken und legt mir rasch die kleine Hand auf meinen Arm.
    »Sie sind so kurze Zeit erst hier … es fährt abends noch, glaube ich, ein Zug.«
    »Jedoch der Anschluß«, wage ich zu widersprechen. »Ich muß morgen vormittag um elf wieder zu Hause sein. Ich habe eine Autorenlesung und kann hundert Leute nicht versetzen – so gerne ich noch bei Ihnen bliebe. Wirklich, ich muß fahren …«
    »… der Teufel hole die Pflicht!« stoße ich aus ganzem Herzen hervor.
    »Und wenn ich Sie inniglich bitte?«
    »Warum machen Sie mir den Abschied so schwer?«
    Sie senkt den Kopf.
    »Und … kommen Sie bald wieder?« fragt sie, während sie zu Boden blickt.
    »Natürlich … wenn ich darf … wenn ich Sie nicht belaste.«
    »Was reden Sie! Ich würde mich sehr freuen.« Sie erhebt sich, tritt ans Fenster, ordnet eine Falte der Gardine und schaut auf die Straße. »Ich werde Ihnen schreiben, ja? Nicht morgen, nicht die nächste Woche … dann, wenn ich etwas anderes zu sagen habe als den üblichen Nullachtfuffzehnbericht …«
    Ich muß lachen.
    »Woher kennen Sie diesen Ausdruck?«
    »Mein Bruder war Soldat.«
    »War?«
    »Er blieb bei Stalingrad.«
    »Oh …«
    Ich verstumme. Was soll ich sagen?
    Wir blicken einander an. Sie unterdrückt, was in ihr aufquellen will, und meint: »Aber Sie können mir schon morgen und übermorgen schreiben, Sie beherrschen das Metier, in Ihnen muß sich nichts ansammeln. Schicken Sie mir alle Ihre neuen Werke, Ihre Novellen, Ihre Essays. Ich lese gerne, was Sie schreiben.«
    Ich fühle, wie ich innerlich erbebe. Jetzt diese Seele in den Händen tragen dürfen und weit sein, ganz weit im seligen Vergessen …
    Ich wende mich stumm ab und gehe zur Garderobe.
    »Ich werde Ihnen alles schicken«, sage ich dann, »auch wenn es nicht das ist, was innerlich erhebt. Denn vieles schreibt man, um den Geist zu formen – und es nicht tut; und selten sind die Stimmen, welche die Seele regen.« Ich stehe vor ihr, ein gutes Stück größer als sie, und reiche ihr mit festem Druck die Hand. »Und vielen Dank für die schönen Stunden.«
    »Sie waren so kurz …«
    »Lassen Sie uns trotzdem froh sein. Es gibt Minuten, die ein halbes Leben wiegen.«
    Plötzlich fährt sie zusammen, schlägt sich mit der Hand leicht an die Stirn.
    »Was werden Sie unterwegs essen? Sie brauchen Reiseproviant, daran habe ich gar nicht gedacht.«
    »In meiner Manteltasche steckt noch ein belegtes Brot.«
    »Was bin ich für eine unmögliche Frau, ich schäme mich!«
    »Das wäre töricht von Ihnen.«
    »Kommen Sie mit in die Küche, ich mache Ihnen noch rasch etwas zurecht.«
    »Unter keinen
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