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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen
Autoren: Susan Hill
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solltest die Sache aktiver angehen.«
    »Da gibt es keine ›Sache‹. Komm, Mutley ist es zu warm. Und mir auch.«
    Sie stand auf. Doch als Lizzie sich ebenfalls erhob, war er wieder da, der direkte Blick. Er ließ sie nicht los. Helen drehte sich um und ging den Hügel hinunter, so schnell, dass sie auf dem steinigen Pfad beinahe ausgerutscht wäre.
     
    Sie hatte nicht darüber nachdenken wollen. Sie würde nicht darüber nachdenken. Sie war rundum zufrieden. Terry hatte sie mit dreiundzwanzig kennengelernt, ihn ein Jahr später geheiratet, die Kinder bekommen und war glücklich gewesen. Als Tom sechs war, hatte sie wieder angefangen zu arbeiten, halbtags. Das Leben hatte es gut mit ihnen gemeint.
    Dann wurde bei Terry Hautkrebs festgestellt, und man sagte ihr, er werde noch zwei Jahre haben, vielleicht mehr. Ihm waren nur vier Monate geblieben.
    Jede Art von Beziehung mit einem anderen Mann war nach wie vor undenkbar. Auf den letzten Metern des Pfades merkte sie, dass sie wütend war, wütend und von einer gewissen Panik ergriffen.
    »Ich glaube …«, begann Elizabeth, die sie eingeholt hatte.
    »Schön, aber ich nicht. Lass es. Ich bin nicht bereit, mich auf eine solche Unterhaltung einzulassen.« Sie klang barsch, doch Elizabeth sah sie lange an, ohne etwas zu entgegnen.
     
    Zwei Tage darauf war eine Broschüre mit der Post gekommen.
    Mein Name ist Laura Brooke. Ich leite eine Agentur für Männer und Frauen, die einen handverlesenen Partner kennenlernen wollen. Ich glaube nicht, dass man Menschen per Computer zuordnen kann. Ich bin wie eine Freundin. Ich nehme nur Kunden an, bei denen ich das Gefühl habe, sie gut vermitteln zu können, und ich stelle Kunden nur nach ausführlichen Gesprächen und meiner persönlichen, sorgfältigen Einschätzung einander vor. Ich schenke Kunden meine Zeit und meine Erfahrung, um für sie …
    Helen warf die Broschüre in den Abfalleimer.
    Am nächsten Tag beim Friseur stellte sie verblüfft fest, dass sie sich fragte, ob Menschen sich tatsächlich über Agenturen oder das Internet erfolgreich kennenlernten, ob das Ganze nicht doch der Schwindel war, für den sie es immer gehalten hatte. Traurige Menschen suchten Vermittlungsagenturen auf, traurige oder finstere Menschen. Sie konnte verstehen, dass man zu irgendeinem Verein ging, wenn man neu in einer Stadt war und keine Möglichkeit hatte, Freundschaften zu schließen – einem Club, einem Sportverein, einer Abendschule. Doch Freundschaft war das eine, das hier war etwas anderes. Sie hatte Freunde. Was sie nicht hatte, war Zeit für sie.
    Sie war sechsundvierzig. Bis zu ihrem fünfzigsten Lebensjahr wären Tom und Elizabeth aus dem Haus. Dann hätte sie ihre Arbeit und auch mehr Zeit für ihre Freunde. Sie hätte die St.-Michael-Sänger, und sie könnte wieder den Lafferton Players beitreten. Sie würde sich ehrenamtlich engagieren.
    Terry war unersetzlich. Nach seinem Tod war sie am Boden zerstört gewesen, und sie kam sich noch immer vor wie jemand, der einen Arm oder ein Bein verloren hatte. Nichts würde das ändern. Nichts und niemand.
     
    »Ich gehe nicht hin«, sagte sie jetzt. »Das kann ich nicht.«
    »Du gehst, und du kannst es, und wenn ich dich hinschieben muss.«
    »Elizabeth …«
    »Ein Mal, hast du gesagt, ein einziges Mal, wenn jemand es wert zu sein scheint. Und das ist so. Wir waren uns einig. Tom, waren wir uns nicht einig?«
    Tom hob die Hände. »Lasst mich dabei außen vor, okay?«, sagte er und polterte aus dem Zimmer.
    »Ihm ist es nicht recht«, sagte Helen.
    »Ihm ist nichts recht, was nicht zu seiner eigenen, merkwürdigen Welt gehört. Beachte ihn nicht.«
    »Warum drängst du mich zu etwas, was ich nicht will?«
    »Du
willst
es. Du willst hier rauskommen, du willst dich Neuem aufschließen. Du willst einen neuen Anfang.«
    »Es ist nur eine Verabredung.«
    »Genau!«
     
    Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass Elizabeth recht hatte. Helen hatte viel darüber nachgedacht, nachdem sie die Idee einmal zugelassen hatte. Sie befürchtete, zu einsam zu sein, wenn ihre Kinder aus dem Haus waren, sie war zu jung für einen eingefahrenen Trott, sie musste sich etwas Neuem öffnen. Und doch war es für sie eine Art Eingeständnis, versagt zu haben, wenn man jemanden über eine Agentur, eine Internetvermittlung oder eine Anzeige kennenlernte. Und sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt Erfolg haben wollte. Im Übrigen war man stigmatisiert, wenn man in ihrem Alter so etwas
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