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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen
Autoren: Susan Hill
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machte.
    »Blödsinn«, hatte Lizzie gesagt.
     
    Natürlich war es ein Stigma. Gesetzt den – eher unwahrscheinlichen – Fall, sie lernte jemanden über eine Vermittlungsagentur kennen, und dieser Mensch würde ihr wichtig werden, könnte sie niemandem sagen, wie sie zusammengekommen waren. Lieber würde sie sich die Zunge abbeißen, als so etwas zuzugeben.
    »Ich fass es nicht.« Aber das war Elizabeth, und sie war ihre Tochter.
     
    »Ich werde eine SMS schicken und sagen, dass ich mich nicht wohl fühle.«
    »Das ist total erbärmlich. Um Himmels willen, Ma, es geht darum, in einem Pub zu sitzen und was zu trinken …«
    »In einer Bar.«
    »Und etwas zu trinken. Sich zu unterhalten. Dabei kannst du es belassen. Mein Gott, wir haben das doch alles schon x-mal durchgekaut – wenn du das Gefühl hast, er ist ein Massenmörder, schickst du Tom eine SMS , und er ist in fünf Minuten da.«
    »Ich glaube eher nicht, dass er ein Massenmörder ist. Er klingt …«
    »Wie ein netter Typ.«
    »Ja.«
    »Ja.«
    »Anscheinend wolltest du es schon früher durchziehen, du bist seit Stunden fertig.«
    »Bin ich zu aufgedonnert?«
    »Nein, du siehst toll aus. Das meinte ich auch nicht.«
    Ein langes Schweigen trat ein.
    »Ich möchte ja hingehen. Ich möchte es. Aber ich will es nicht. Ich habe so etwas noch nie gemacht, und es ist viele Jahre her, seit ich überhaupt mit einem Mann ausgegangen bin …«
    Elizabeth stand auf, kam um den Tisch herum und umarmte sie, beugte sich über sie, als wäre sie die Mutter und Helen das Kind.
    »Du siehst prächtig aus, und es wird schön. Und wenn nicht – na und? Was hast du verloren? Einen Abend.«
    »East Enders.«
    »Die Serie ist im Moment nur öde, also versäumst du nichts.«
    Elizabeth vertiefte sich wieder in
Eugénie Grandet.
Es wurde still im Raum.
    »Lizzie …«
    »Mutter –
hau ab!
«
     
    Sie hatte die Broschüre der Agentur wieder aus dem Abfalleimer gezogen. Doch sie hatte kein gutes Gefühl bei der Vorstellung, von jemandem befragt zu werden, der die feste Absicht hatte, sie mit einem Mann auf einer Liste zusammenzubringen, vor allem, da sie nicht einmal wusste, ob sie überhaupt jemanden kennenlernen wollte.
    So war sie auf die Webseite
peoplemeetingpeople.com
gestoßen. Denn das könnte sie zugeben. Ja. Sie würde eingestehen, dass sie ein Mensch war, der andere kennenlernen wollte.
    Es war ziemlich einfach. Für das Aufrufen der Seite bezahlte man eine Gebühr, die nicht zu teuer und nicht zu billig war. Das hatte sie schließlich eines Abends getan, als sie allein war. Man ging Schritt für Schritt vor. Man musste sich nicht zu früh preisgeben und festlegen. Damit konnte sie leben.
    Sie gab ihren Namen ein – nur den Vornamen – und das Alter. Der nächste Schritt war, die Art von ›Menschen‹ einzugrenzen, die sie kennenlernen wollte.
Altersgruppe.
Das war erstaunlich leicht. Zwischen fünfundvierzig und sechzig.
Familienstand.
Sie klickte
verwitwet
an. Dann auch
geschieden
. Bei geschieden war sie sich nicht sicher, aber das waren heutzutage so viele, und die Gründe waren weniger – was? Düster? Besorgniserregend?
Alleinstehend
klickte sie nicht an. Nur wenige wirklich geeignete Männer über fünfundvierzig waren noch alleinstehend.
    Sie gab ihren geographischen Bereich an. Grenzte ihn etwas ein.
    Beruf/Fachgebiet: Medien. Öffentlicher Dienst. Verwaltung. Freie Wirtschaft. Landwirtschaft.
Davon fast alle. Sie konnte wahrscheinlich sogar mit einem Bauern über etwas plaudern. Sie klickte jedes Kästchen an.
    Sie hatte mit weiteren Schritten gerechnet, mehr Fragen, doch man wollte nur von ihr wissen, ob sie jetzt Fotos und knappe Informationen von allen sehen wolle, die ihrem Profil entsprachen.
    Sie ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Irgendwie waren die Fotos von Menschen, echten Menschen, ein großer Schritt weg von einem Spiel, machten Ernst, verpflichteten sie.
    Nein. Sie war zu nichts verpflichtet. Das waren nur Fotos. Und eigenartigerweise war sie aufgeregt. Wen würde sie sehen? Welche Art von Männern? Wahrscheinlich hatten alle eine Glatze. Oder riesige, buschige Bärte. Oder kleine Augen. (
Trau nie einem Mann mit kleinen Augen!
Ihre Mutter.) Oder schlechte Zähne. Oder …
    Sie nahm ihren Kaffee mit an den Schreibtisch, stellte die Tasse ab und klickte entschlossen auf
Ja.
    Der Erste war’s. Woher weiß man, dass man jemanden aufgrund eines Fotos mag? Woher will man wissen, dass man ihn kennenlernen möchte?
    Er
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