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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen
Autoren: Susan Hill
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Monaten wie die Sklaven gearbeitet, die Küche neu gemacht hatten, altes Linoleum und verfaulte Bodendielen entfernt, Holzimitat aus den sechziger Jahren und alte Gaskamine herausgerissen hatten. Es hatte sich gelohnt. Jetzt sah alles frisch, hell und neu aus, und Melanie war begeistert. Eheleben, dachte sie. Eheleben. Sie kannte Craig seit drei Jahren, doch sie hatten nie richtig zusammengelebt, daher war alles neu, alles machte Spaß, aber hin und wieder auch ein wenig Angst.
    Sie sah sich im Zimmer um. Dann wieder auf die Briefumschläge. Danke, danke, danke, danke. Mitternachtsblaues Kochgeschirr der Marke Le Creuset, hellblaues Küchengeschirr von Nigella Lawson. Porzellan mit Herzen und Sternen, flauschige, weiße Bademäntel und Handtücher, Tischlampen, Besteck, Spiegel, Uhren und ein massiver Messingkandelaber mit hängenden Kristallperlen, den sie auf die Hochzeitsliste gesetzt hatte, weil er witzig aussah, aber teuer war, und sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihn jemand kaufen würde. Ihre Patentante – eine Schauspielerin, die alles mochte, was »ein bisschen schräg« wirkte, wie sie es ausdrückte – hatte ihn gekauft. Die Kiste, in der er eintraf, hätte einen neuen Kühlschrank aufnehmen können. Als Melanie den Kandelaber ausgepackt hatte, waren ihr Bedenken gekommen. Craig konnte ihn nicht ausstehen.
    Doch das spielte keine Rolle. Sie konnten darüber lachen. Es war verrückt, und sie war glücklich. Glücklich, glücklich, glücklich.
    Sie legte die Danksagungen beiseite und klappte ihren Laptop auf. Die Hochzeitsbilder waren auf die Website des Fotografen gestellt worden, und sie hatte sie sich mehrfach angesehen, nachdem sie nach Hause gekommen waren, hatte in jeder Einzelheit geschwelgt. Sie war noch immer überrascht, wie viel ihr an dem Tag selbst entgangen war, und natürlich auch, was sie von vornherein gar nicht hatte sehen können – Craig mit seinem Bruder und den Zeremonienmeistern, die vor der Kirche eintrafen, die Brautjungfern, die aus dem Wagen stiegen, und ihre Schwester Gaynor, die beinahe der Länge nach hingefallen wäre und deren Sträußchen wieder eingesammelt wurde. Vom Empfang hatten sie eine schöne Collage gemacht, die sich durch einen Trick je nach Blickwinkel bewegte und veränderte – jedes Mal wenn Mel die Website öffnete, sah sie etwas, das ihr bisher entgangen war. Diesmal war es der Ausdruck auf Adrians Gesicht, als er darauf wartete, seine Rede als Trauzeuge zu halten: Er sah aus, als wäre er auf dem Weg zum Schafott.
    Sie hatte auch zwei CDs mit Bildern, die Freunde aufgenommen hatten, und sie hatte vor, die besten auf die Hochzeitstag-und-Flitterwochen-Seite zu stellen, die sie eingerichtet hatte. So konnten einige aus der Familie ihres Vaters, die nicht hatten kommen können, an dem Tag teilhaben.
    Sie hatte viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um im September zu heiraten. Zwar waren zunächst Mai oder Juni ihre Wunschmonate gewesen, doch dann hatte sie erschrocken feststellen müssen, wie weit im Voraus alles ausgebucht war, und September war der früheste Termin gewesen, den sie organisieren konnten. Das hatte sich als gut erwiesen, denn im Mai und Juni war es größtenteils kalt und nass gewesen, und der September, ihr Hochzeitstag eingeschlossen, war herrlich sonnig.
    Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen, ließ sich das Gesicht wärmen und hing Erinnerungen nach. Komisch. Die Zeit machte eigenartige Dinge. Der Tag war so schnell vorbei gewesen, geradezu blitzartig, und doch war ihr, als hätte er sich seitdem ausgedehnt, wäre größer geworden, und sie konnte ihn in Zeitlupe wieder aufleben lassen, konnte immer wieder jede kleinste Einzelheit durchkauen. Wahrscheinlich ging es Craig nicht so, dachte sie. Dabei hatte es ihm durchaus gefallen, das wusste sie. Doch seine Haltung war: Gut, das war’s, es war toll, und was kommt jetzt?
    Wenn sie ehrlich war, machte sie das nicht nur stutzig, es wurmte sie auch ein bisschen.
    »Na ja, er ist schließlich ein Mann, oder?«, hatte Gaynor gesagt. »Vergiss es.«
     
    Wenn sie nicht wieder arbeiten gehen müsste, könnte sie sich vorstellen, noch viele Nachmittage wie diesen zu verbringen, sich die Fotos anzusehen, die Hochzeitsgeschenke auszupacken und zu sortieren, Danksagungen zu schreiben und dann anzufangen, mit all den neuen Küchenutensilien das Abendessen zu kochen. Sie mochte ihre Arbeit. Die Kollegen waren nett, und sie wusste nur zu gut, dass sie sich den ganzen Tag allein in der
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