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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee
Autoren: Susanne Mischke
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die Frau in ihr Auto geladen und
nach Hause gefahren.«
    Völxen erstickt beinahe an einem saftigen Fluch, gepaart mit einer
rassistischen Äußerung. »Schön, dass es noch Nächstenliebe unter den Menschen
gibt«, knirscht er stattdessen und resümiert: »Damit können wir uns die DNA
aus dem Wagen sonst wohin stecken.«
    Â»Sie sagen es«, sagt Eva Holzwarth und legt grußlos auf.
    Â»Mist, verfluchter!« Völxen haut so auf seinen Schreibtisch, dass
die Teetasse und das DS-Modell einen Hüpfer machen.
    Kaum hat der Kommissar seinen Geist wieder auf die zurückliegende
Befragung von Dr. Fender gelenkt, klopft es an die Tür. Frau Cebulla legt ihrem
Vorgesetzten den Durchsuchungsbeschluss für Elise Wenzels Wohnung auf den
Schreibtisch.
    Â»Was soll ich damit?«, raunzt Völxen übelst gelaunt. »Bringen Sie
den Wisch zu Fernando. Er soll Frau Wedekin mitnehmen.«
    Wortlos quietscht die Sekretärin auf ihren Kautschuksohlen zur Tür
hinaus, die sich einen Tick lauter als sonst hinter ihr schließt. Doch nur
Augenblicke später wird sie schon wieder aufgerissen.
    Â»Was ist denn jetzt schon wieder, Herrgott noch mal!«
    Richard Nowotny lässt das Gebrüll des Dezernatsleiters wie immer
kalt. »Auf Markstein ist geschossen worden.«
    Â»WAS?!«
    Â»Auf Markstein ist geschossen worden«, wiederholt Nowotny ruhig.
»Auf dem alten Friedhof am Lindener Berg.«
    Â»Wann war das?«
    Â»Vor ein paar Minuten. Um 14.54 Uhr ging der Notruf
ein. Ein Spaziergänger hat den Schuss gehört und ihn gefunden.«
    Â»Ist er tot?«
    Â»Nein.«
    Nun kommt Bewegung in den Kommissar, er umrundet seinen Schreibtisch
und reißt seine Jacke vom Garderobenständer, während er fragt: »Hat jemand den
Täter gesehen?«
    Â»Nein.«
    Â»Wo hat man ihn hingebracht?«
    Â»Ins Siloah.«
    Schon stürmt Völxen den Gang entlang, wobei er Frau Cebulla, die
gerade aus Fernandos Büro kommt, fast über den Haufen rennt.
    Â»Entschuldigung«, sagt diese schnippisch, aber Völxen kümmert sich
nicht um sie, und auch nicht um Nowotny, der ihm hinterher ruft: »Aber die
Sanis sagen, er sei nicht ansprechbar.«
    Erst nach Sonnenuntergang wagt sie sich
hinaus – hastend, abwartend, lauernd. In jedem Schatten glaubt sie ihren
Verfolger zu sehen, jeder Autoscheinwerfer bedeutet maßlosen Schrecken, jedes
Geräusch signalisiert das vermeintliche Ende ihrer Flucht.
    Dann die Mienen ihrer Eltern, die von
anfänglicher Erleichterung zusehends zu Masken der Missbilligung und des
Vorwurfs versteinern.
    Wie oft haben wir dir gesagt … Selber schuld.
Schuld. Scham.
    Das Schweigegelübde leistet sie nur allzu gerne.
Sie kennt ohnehin niemanden, mit dem sie reden könnte. Sie fürchtet die Blicke
der Mitschüler, das Flüstern hinter ihrem Rücken. Sie fühlt sich jedes Mal, als
wäre sie nackt.
    Der Umzug in die Stadt bringt zwar keine
Erlösung, aber doch eine wohltuende Anonymität. Und dann, zwei Jahre danach –
ihr Leben hat sich in ein Davor und ein Danach geteilt – hört sie die Nachricht
von seiner Verhaftung. Es ist eine Erleichterung, aber dennoch bleiben die
Ängste.
    Für den frühen Tod des Vaters macht ihre Mutter
sie verantwortlich, auch wenn sie es nicht ausspricht. Erst die Stelle im Zoo,
die Arbeit mit den Tieren, bringt Frieden, manchmal sogar Glücksmomente. Die
Kollegen akzeptieren ihr Anderssein, ihre Distanziertheit. Ihr Dasein wird
erträglich.
    Aber auf einmal kommen ständig diese Berichte und
Reportagen im Fernsehen und im Radio, und die Zeitungen sind voll von Dingen,
die sie lieber vergessen will. Es fühlt sich an wie ein beständiges Kratzen an
der Oberfläche eines bis dahin betäubten Geschwürs.
    Noch immer wartet Oda schweigend ab. Wie lange sitzen sie
hier schon, zehn Minuten, zwanzig? Aber ihr entgeht nicht, wie die junge Frau
neben ihr allmählich wieder ruhiger atmet und den Blick nach draußen richtet.
    Dann hebt sie die Hand, deutet auf das Haus und sagt: »Seltsam. Es
ist so klein. So mickrig.«
    Â»In der Erinnerung sind die Dinge oft größer. Das Haus wurde Ende
der Siebziger gebaut, und der erste Besitzer meinte, einen Atombunker nötig zu
haben.«
    Sie braucht ein paar Momente, um diese Nachricht zu verdauen, dann
sagt sie: »Ein Bunker. Deshalb.« Deshalb hatte er gesagt, sie könne schreien,
so
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