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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee
Autoren: Susanne Mischke
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erreicht die
Haustür. Sie dreht an dem schmiedeeisernen Knauf, rutscht ab, ihre Hände sind
schweißnass. Sie wischt sie an ihrem Kleid ab. Noch einmal.
    Die Tür ist abgeschlossen. Verzweifelt dreht und
rüttelt sie am Knauf. Sie schluchzt auf. Ihr Mut ist aufgebraucht. Sie taumelt
gegen die Wand und rutscht entlang der Tapetenstreifen auf den Fußboden.
    Es ist einer dieser Tage, wie es nur wenige gibt im Leben.
So also schmeckt der Erfolg, denkt Boris Markstein, als er das
Redaktionsgebäude verlässt, noch immer das süßsaure Lächeln der Kollegen vor
Augen, mit dem sie ihm zu seinem Artikel im Focus gratulieren mussten. Er ist auf dem Weg nach ganz oben, das spürt er. Bald wird
sein Name in allen großen Blättern zu lesen sein, er wird zu Talkshows
eingeladen, er wird eine ernst zu nehmende Größe in der deutschen
Medienlandschaft sein.
    Und als ob der Tag noch nicht sonnig genug wäre – sogar im wahrsten
Sinn des Wortes – kam heute Mittag auch noch dieser Anruf: »Wenn Sie wissen
wollen, wozu dieser Strauch, über den Sie geschrieben haben, wirklich fähig
ist, dann sollten Sie mit mir reden«, hat eine Frauenstimme gesagt, die
irgendwie verstellt klang. Wie er das zu verstehen habe, hat Markstein gefragt.
    Â»Sie sollten nicht nur mit den Tätern reden, sondern auch mit den
Opfern«, sagte die Frau. Nein, ihren Namen würde sie nicht nennen, sie wolle
anonym bleiben.
    Während Markstein seinen offenen Mazda nach Linden steuert, sieht er
im Geist schon die Schlagzeile vor sich: Fall Strauch: Ein
Opfer packt aus. Die Frau hat ihn zum alten Friedhof auf dem Lindener
Berg bestellt – »Um drei Uhr in der Nähe des Küchengartenpavillons!« Sie würde
ihn dann schon finden.
    Markstein parkt den Wagen vor dem Biergarten. Ein Bier wäre jetzt
nicht übel. Aber alles zu seiner Zeit, sagt sich der Journalist. Und jetzt ist
Jagdzeit. Ihm ist warm. Temperaturen wie im Hochsommer sind das, aber seinen
langen Trenchcoat, der mit der Zeit zu seinem Markenzeichen geworden ist, zieht
er nur ungern aus.
    Die Anruferin hat ihn ermahnt, ohne einen Fotografen zu kommen, und
Markstein hat zugestimmt. Allerdings hat er seine eigene digitale
Spiegelreflexkamera dabei. Auch dass er schon eine halbe Stunde früher am
verabredeten Ort ist, hat Methode. Vielleicht gelingt es ihm so, ein heimliches
Foto von der Person zu schießen, quasi aus dem Hinterhalt.
    Er schließt den Wagen ab und tritt in den kühlen Schatten der alten
Bäume. Hier lässt es sich aushalten. Der sechs Hektar große Friedhof wird schon
seit den Sechzigerjahren nicht mehr als solcher genutzt und ist inzwischen ein
Park. Nur etwa hundertfünfzig Gedenksteine und Grabmäler mit Skulpturen stehen
locker verteilt auf dem schattigen Rasen. Viele Steine sind grün bemoost, und
ihre Inschrift ist nur noch sehr schwer lesbar. Normalerweise blühen um diese
Jahreszeit hier Tausende von Blausternen, und es gibt sogar ein Scilla-Fest,
doch vier Wochen Hitze und Trockenheit haben der Blüte in diesem Jahr ein
vorzeitiges Ende bereitet. Macht nichts, sagt sich Markstein gut gelaunt, er
ist ja nicht wegen der Botanik hier.
    Ein junger Kerl zischt auf einem Fahrrad an ihm vorbei, sonst ist
niemand unterwegs. Markstein spaziert die Wege entlang, wobei er sich ab und zu
umsieht. Ein korpulenter Mann mit einem fetten Dackel kommt auf ihn zu, doch
die beiden kehren um, nachdem der Dackel einen Haufen in den Efeu gesetzt hat.
    Zehn Minuten vor drei taucht eine Frau auf. Sie trägt ein schwarzes
Tuch um den Kopf und hält ihn gesenkt. Ein etwas theatralischer Auftritt,
findet Markstein. Sie scheint es eilig zu haben. Markstein verschwindet hinter
dem dicken Stamm einer Blutbuche und schießt ein paar Bilder. Dann steckt er
die Kamera weg und tritt hinter dem Baumstamm hervor auf den Weg.
    Die Frau scheint erschrocken zu sein, sie steht wie festgefroren da,
die Hände in den Taschen ihrer Jacke. Markstein setzt ein Begrüßungslächeln
auf, das nicht erwidert wird. Im nächsten Moment blickt der Journalist in die
Mündung einer Pistole und verspürt einen scharfen Schmerz in der Brust.
Ungläubig schaut Markstein der Frau ins Gesicht, den Knall des Schusses noch in
den Ohren. Diese zielt erneut mit der Waffe. Hundegebell wird laut und nähert
sich. Die Frau lässt die Waffe sinken, dreht sich hastig um und rennt davon,
während Boris Markstein langsam in
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