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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee
Autoren: Susanne Mischke
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sich zusammensinkt.
    Denk nach, mahnt eine Stimme in ihr.
Wenn die Tür abgeschlossen ist, dann bedeutet das, dass er nicht da ist. Nur
nicht in Panik geraten.
    Sie geht zurück und schaut vorsichtig in das
Zimmer, dessen Tür halb offen steht. Eine Schrankwand, ein Fernseher, ein Sofa,
ein Tisch … Teppichboden, Bierflaschen. Das Fenster wird von einer dicht
gewebten Gardine verhüllt. Daneben befindet sich eine Glastür. Ein Pflaumenbaum
wirft seinen Schatten auf die Terrasse, auf der das Unkraut durch die Ritzen
der Waschbetonplatten wächst. Der Baum trägt leuchtend lila Früchte, ein paar
davon liegen verfault am Boden.
    Sie betätigt den Hebel der Terrassentür. Ein
schnarrendes Geräusch in ihrem Rücken lässt sie vor Schreck erstarren. Er ist
zurück! Er wird sie wieder einfangen wie ein fliehendes Tier. Das Schlagwerk
einer Wanduhr setzt sich in Gang. Drei Uhr. Hastig hebelt sie die Terrassentür
auf und stürzt hinaus ins Sonnenlicht. Harte Gräser bohren sich in ihre
Fußsohlen, als sie auf dem ungepflegten Rasenviereck hin und her rennt wie ein
kopfloses Huhn. Ein Lattenzaun und dahinter eine Thujenhecke bilden die Grenze
des Gartens. Es ist nicht zu erkennen, was dahinter ist. Sie klettert dennoch
über den Zaun und quetscht sich durch die grüne Mauer. Die weichen Zweige
streichen über ihre Haut und sondern dabei einen frischen, herben Duft ab, der
sie kurz an das Fichtennadelschaumbad denken lässt, das zu Hause im Bad steht.
Ein Bad … Frische Laken, ein Bett …
    Vor ihr liegt ein blau funkelndes Schwimmbecken.
Ein Schwimmbecken, ausgerechnet!, durchfährt es sie. Warum ist Liliane nicht
zum Schwimmbad gekommen? Manchmal, in den langen, dunklen Stunden in ihrem
Gefängnis, hat sie sich ausgemalt, dass Liliane woanders gefangen gehalten wird
und dass ihr irgendwann die Flucht gelingen und sie kommen wird, um sie zu
befreien.
    Aber daran glaubt sie nun nicht mehr. Sie
verspürt das überwältigende Bedürfnis, in dieses funkelnde Blau
hineinzutauchen, sich zu reinigen oder gar für immer unter Wasser zu leben, wie
ein Fisch oder ein Seehund. Im Gras neben dem Pool liegt Spielzeug: kleine
Fahrräder, Bälle, ein Roller. Aus dem Haus tönt Geplärr und eine keifende
Frauenstimme. Nein, hier kann sie nicht bleiben, und außerdem ist sie dem Ort
des Schreckens noch viel zu nah. Sie muss weiter.
    Hinterher weiß sie nicht mehr, wie viele Gärten
sie durchquert hat, durch wie viele Hecken und Zäune sie geschlüpft ist.
Irgendwann findet sie sich vor einem Haus mit heruntergelassenen Rollos wieder,
und im hinteren Teil des eingewachsenen Grundstücks entdeckt sie ein
verwittertes Gartenhaus. Drinnen lagern Gartengeräte, Farbeimer, Schläuche, ein
Beil, Sägen, ein Hackstock. Es riecht nach Staub und Holz. Durch ein trübes
Fenster fallen Sonnenstrahlen, in denen Staubpartikel tanzen. Sie setzt sich
auf die morschen Bodendielen, lehnt den Rücken an den Hackstock, das Beil
behält sie in den Händen. Die Sonne wärmt ihr Gesicht. Eine Fliege summt, von
Ferne dringen Kinderstimmen zu ihr, irgendwo tuckert ein Rasenmäher, ab und zu
jault ein Motorrad auf. Sie macht die Augen zu und versinkt im Klangteppich des
Spätsommernachmittags. Langsam bekommt der Kloß aus Angst in ihrem Innern
Risse, immer mehr Risse, bis er sich auflöst und der Hoffnung weicht. Hier wird
sie warten, bis es dunkel ist, bis sie nach Hause kann. Sie lächelt. Sie ahnt
noch nicht, dass dies für lange Zeit der glücklichste Moment sein wird.
    Völxen versucht sich zu konzentrieren. Irgendetwas hatte
Dr. Fender vorhin, im Zusammenhang mit Elise Wenzel, gesagt, über das er noch
nachdenken wollte, aber dann hat er sich ablenken lassen von ihren Vorwürfen,
und nun ist es wie aus seinem Gedächtnis gelöscht. Was war es, zum Teufel noch
mal? Ich werde alt, mein Hirn ist wie ein Sieb … Aber gleich, gleich hab ich
es. Es hatte was mit dem Zoo zu tun, oder nein, es war …
    Das Telefon klingelt.
    Â»Völxen!«
    Es ist Staatsanwältin Eva Holzwarth: »Gerade waren die Gebrüder
Druski, ihr Anwalt und ein Dolmetscher bei mir im Büro«, schnaubt sie erbost.
»Die Quintessenz eines halbstündigen Palavers lautet: Die Brüder wollen in der
Nacht des 14.
Februar eine hilflos umherirrende Frau in der Walderseestraße bemerkt haben,
und Engel, die sie nun einmal sind, haben sie
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