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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee
Autoren: Susanne Mischke
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1.1.K der Polizeidirektion Hannover und
zuständig für Straftaten gegen das Leben und
Todesermittlungen weiß darauf keine Antwort. Beide Männer stehen
schweigend am Zaun und beobachten, wie die Sonne hinter den Kamm des Deisters
rutscht.
    Â»Hab gehört, der Schafbock ist weg«, bemerkt Köpcke nach einer
geraumen Weile.
    Â»Mhm.«
    Â»Ich hatte mal einen Hahn, der immer auf mich los ist. Wurde nicht
alt, das Vieh.«
    Völxen nickt bekümmert. Um vom Thema abzulenken, macht er seinem
Nachbarn ein Angebot, das dieser nicht ablehnen kann: »’n Bier, Jens?«
    Dr. Martin Offermann schielt auf seine goldene Panerai.
Viertel nach zehn. Seit über zwei Stunden redet er. Erstaunlicherweise zeigen
die gut zweihundert Zuhörer, die sich im Konferenzraum des Courtyard Marriott
Hotels am Maschsee eingefunden haben, noch keine Ermüdungserscheinungen. Im
Gegenteil, sie hängen an seinen Lippen wie bettelnde Hunde. Wie immer sind es
in der Mehrzahl Frauen.
    Von Zwängen und Trieben – Typologien von
Sexualstraftätern lautet der Titel seines populärwissenschaftlich
aufbereiteten Vortrags, den er mit lebendigen Beispielen aus seiner
langjährigen Erfahrung als forensischer Psychiater unterfüttert. Diagnostik,
Therapeutische Maßnahmen, Gefahrenprognosen, all das interessiert das Publikum
sehr, doch am meisten weiß Offermann seine Hörerschaft mit den Schilderungen
dessen zu fesseln, was seine Klientel einst anderen angetan hat. Natürlich ist
sich der Psychiater darüber im Klaren, dass er damit eine niedere Form des
Voyeurismus bedient, doch gleichzeitig genießt er es auch, wenn wieder ein
kollektiver Seufzer der Erschütterung durch den Saal geht. Kein Zweifel –
Sexualstraftäter sind faszinierend – und er, der Dompteur dieser Bestien, erst
recht. Schon wieder sucht die Brünette in der dritten Reihe intensiven
Blickkontakt. Sorry, aber er muss morgen früh am Flughafen Hannover sein, ein
Symposium in Zürich.
    Offermann ist zweiundsechzig, leicht übergewichtig und nicht mehr
endlos belastbar. Sexuelle Ausschweifungen gönnt er sich nur noch, wenn er
danach ausschlafen kann. Außerdem hat er vor nicht allzu langer Zeit eine
eiserne Regel aufgestellt: keine Affären mehr in der eigenen Stadt. Da ist man hinterher
viel zu greifbar. Er wird ein Taxi nehmen und schnurstracks nach Hause fahren,
allein. Oder zu Fuß gehen, noch ein bisschen Luft schnappen. Obwohl das Hotel
ja eine recht gut sortierte Bar hat …
    Er fährt seinen Laptop herunter, an der Leinwand hinter ihm
verblassen ein paar Kurven und Statistiken, ein Schlusssatz, Beifall brandet
auf und hält lange an. Bestimmt wäre ich als Schauspieler oder Entertainer groß
rausgekommen, denkt Offermann – nicht zum ersten Mal. In die gängigen Talkshows
hat er es auch als Psychiater geschafft. Wann immer ein grässliches Verbrechen
ruchbar wird, tingelt er danach tagelang als Experte quer durch alle Sender,
vom Frühstücksfernsehen bis zum Talk um Mitternacht.
    Ach ja, der Büchertisch. Schon hat sich eine Schlange gebildet, und
vor dem kleinen Signiertisch warten bereits drei Frauen mit mehreren Büchern im
Arm. Das wird dauern. Sein Mund ist trocken vom vielen Reden. Vielleicht sollte
er doch noch kurz in die Bar gehen, auf einen Mojito, nur um die Zunge
anzufeuchten.

Dienstag, 17. April
    Walter Schmiedel hält das Gesicht in die Sonne und lauscht
dem Gesang der Vögel. Im Grunde ist es eher ein ununterbrochenes, mehrstimmiges
Geschrei, als wollten die Mitstreiter unter sich ausmachen, wer der Lauteste
und Zäheste ist. Schmiedel mag diesen weitläufigen Friedhof, der eigentlich
mehr einem mondänen Park gleicht als einem Gottesacker. Der Stöckener Friedhof
erinnert an die Welfengärten im benachbarten Stadtteil Herrenhausen. Alte Bäume
gibt es hier und zwischen den Grabstätten großzügige Rasenflächen.
Siebzehntausend Tote auf fünfundfünfzig Hektar, bedeutende Bürger der Stadt
neben zahllosen Unbekannten. Und niemand da, der einen scheucht. Nicht, dass
sich Schmiedel bei seinem letzten Job im Stadtarchiv überarbeitet hätte, aber
wenn er schon für nur einen Euro die Stunde arbeitet, dann sollte wenigstens
kein Stress herrschen.
    Mit seiner Abfallzange hebt er ein zerknülltes Papiertaschentuch auf
und wirft es in den Sack, der auf seinem Handwagen steht. Seine Aufgabe besteht
darin, die
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