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Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Autoren: Alexandra Grote
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verkauft und das Land verlassen. Erst zu Beginn der siebziger Jahre zog wieder Leben in die alten Gebäude ein. Zunächst entdeckte die Filmbranche Le Cloître als authentischen Drehort für Kostüm- und Ritterfilme. Danach erstand ein bekannter Filmproduzent den Besitz. Er restaurierte, erneuerte und ließ eine Zentralheizung einbauen. Der nächste Besitzer hieß dann Louis Bouvier.
    Le Cloître hatte früher über weitläufige Ländereien verfügt, die im Lauf der Jahrhunderte größtenteils parzelliert
und verkauft worden waren. Heute betrug der Landbesitz nur noch zwanzig Hektar. Die zum Kloster gehörige Kirche stammte aus der Frühromanik und war trotz der Wirren der Zeit in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben. Sie befand sich nicht in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Klostergebäudes, sondern lag etwa einhundertfünfzig Meter entfernt im Park.
    Auf die Außenmauer des Klosters neben der eisenbeschlagenen, schweren Eichentür des Haupteingangs war das Kreuz des Templerordens gemalt, rot auf weißem Grund. Es handelte sich um ein sogenanntes Tatzenkreuz, ursprünglich das Wappen aller Kreuzfahrer. Als Louis Bouvier das Anwesen kaufte, waren die Farben völlig verblasst. Er ließ einen Maler aufwendige Proben mit verschiedenen, nicht mehr gebräuchlichen Pigmenten anfertigen, damit der Farbton des Kreuzes genau getroffen wurde. Ein helles Blutrot. Bouvier hatte es auf historischen Abbildungen von Templern entdeckt. Die Mönchsritter trugen das rote Kreuz auf ihren Schilden, ihren Mänteln und auf der schwarzweißen Templerfahne.
    Der Innenhof von Le Cloître , umschlossen von einem Kreuzgang, war der einzige Ort, wo Louis Bouvier sich tagsüber im Freien aufhielt. Eine hundertjährige Blutbuche spendete Schatten, und das Plätschern eines marmornen Springbrunnens wirkte erfrischend und beruhigend.
    Der Hausherr verbrachte die heißeste Zeit des Tages, auf dem Bett liegend, in seinem Schlafzimmer. Gewöhnlich dehnte er seine Siesta bis in die späten Nachmittagsstunden aus. An Hitze, insbesondere an feuchte, tropische Hitze, war er beinahe zeit seines Lebens gewöhnt. Seit seinem Eintritt in
den diplomatischen Dienst vor mehr als dreißig Jahren hatte er sich vorwiegend in Asien aufgehalten. In den letzten zwanzig Jahren hatte er der französischen Republik als Konsul in Bangladesch gedient, dann in Kalkutta, in Bangkok … Zuletzt in Ho-Tschi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon.
    Le Cloître hatte er kurz nach seiner Pensionierung 2004 gekauft. Mit der nicht sehr üppigen Pension eines in den Ruhestand getretenen Staatsbeamten hätte er sich ein solches Anwesen nie leisten können. Doch Ex-Konsul Bouvier war schon immer ein Glückspilz gewesen. Als einziger Verwandter einer sehr reichen Tante zweiten Grades erbte er nach deren Tod ihr gesamtes Vermögen. Es belief sich auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Er kaufte das Anwesen als Altersruhesitz und ließ einige Innenräume umbauen und renovieren. Es gab zu viele Räumlichkeiten, als dass man sie alle bewohnen konnte. Bouvier baute den Ostflügel als Gästetrakt aus. Den Westflügel des Klosters legte er still. Türen wurden zugemauert, Zimmer leergeräumt oder als Abstellplatz genutzt. Zu Anfang gingen seine Pläne dahin, auf dem Gelände Stallungen zu errichten. Louis Bouvier war ein Pferdenarr, und eine Vollblutzucht hätte ihm einen Herzenswunsch erfüllt. Doch dann hatte er es sich anders überlegt. Abgesehen von den erheblichen finanziellen Investitionen, die sein schönes Erbe beträchtlich hätten schrumpfen lassen, gab es Dinge, mit denen man sich lieber nicht mehr belasten sollte.
     
    Mittagszeit.
    Bouvier öffnete die Augen. Einen Moment lang hatte er seinen Erinnerungen nachgehangen. Er liebte es, seine Gedanken
in die Vergangenheit schweifen zu lassen. Erinnerungen sind das Brot des Alters, hatte irgendjemand einmal geschrieben. Vom Schwelgen in Erinnerungen führte für Bouvier ein gerader Weg in die Gegenwart. Das Leben war spannend, es bot immer wieder Neues, auch wenn man schon dreiundsechzig Jahre zählte. Wichtig war, sich nicht wie dreiundsechzig zu fühlen . Louis Bouviers gefühltes Alter betrug Mitte vierzig, manchmal auch weniger.
    Er trank den letzten Schluck aus seinem Whiskyglas (die Angewohnheit, schon mittags mit Whisky zu beginnen, hatte er aus Asien in die Normandie mitgebracht) und erhob sich aus seinem bequemen Korbsessel. Ein heißer Luftzug raschelte in den Blättern der Blutbuche. Die beiden Dobermannrüden
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