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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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noch einen Schatten über sie, wahrscheinlich die Tatsache, daß ein Mörder frei herumlief. Plötzlich begriff sie, daß die Sorge um die Kollegen ihre Nerven so strapazierte. Irgendwo dort draußen in der Dezemberdunkelheit war Ruben Sagander. Er hatte sich von Agne Munition geliehen, um auf die Hasenjagd zu gehen, und war unter Umständen nach wie vor bewaffnet. Haver und Berglund würden abwarten, bis sie Verstärkung bekommen hatten, schußsichere Westen anlegen und sich Saganders Haus mit äußerster Vorsicht nähern. Das wußte sie, aber sie wußte auch, daß Gewalt und Gewalttäter ihre eigene Logik besaßen.
    Als sie endlich Karjalainens Haus erreicht hatte und aus dem Auto gestiegen war, blieb sie einen Moment stehen und lauschte, und ihr schien, als könnte sie die Sirenen in der Gegend von Börje, zehn Kilometer entfernt, hören.
    Sie holte das Handy heraus und rief zu Hause an. Diesmal ging ihr Vater an den Apparat, was Lindell erstaunte, aber auch freute: Erik war seit einer Stunde wach, und seine Großmutter hatte ihn aus dem Bettchen genommen.
    »Allmählich wird er richtig munter«, sagte ihr Vater.
    Lindell lächelte vor sich hin, und sie beendeten das Gespräch.
     
    Erki Karjalainen öffnete ihr mit einem verlegenen Grinsen. Er ließ sie wortlos herein, was sie zu schätzen wußte. Nach einleitenden Weihnachtsfloskeln stand ihr im Moment nicht der Sinn.
    Justus saß in der Küche. Am Herd rührte eine Frau in einem Topf. Sie sah auf und lächelte. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft. Der Junge schaute Lindell kurz an und senkte dann wieder den Blick. An seinem Platz standen ein Teller und ein Glas Milch.
    Lindell setzte sich Justus gegenüber. Erki blieb einen Moment im Türrahmen stehen, dann nahm auch er am Tisch Platz. Die Frau zog den Topf vom Herd, schaltete die Platte aus und verließ die Küche. Erki sah ihr nach.
    »Meine Schwester«, erklärte er.
    Lindell nickte und sah Justus an. Er begegnete ihrem Blick.
    »Wie geht es dir?« fragte sie ihn.
    »Gut.«
    »Schön, daß wir dich gefunden haben. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.«
    »Ich bin nie weg gewesen«, erwiderte Justus trotzig.
    »Deine Mama hat aber nicht gewußt, wo du bist.«
    Lindell fand es schwierig, sich mit pubertierenden Jugendlichen zu unterhalten. Sie waren weder Kinder noch Erwachsene, und Lindell hatte immer das Gefühl, die falsche Sprachebene zu wählen, entweder zu kindisch oder zu erwachsen zu sprechen. Jetzt hätte sie Sammys intuitive Fähigkeit gebrauchen können.
    Justus fuhr mit dem Messer über den Teller. Er wirkte zerstreut, aber Lindell ahnte, wie es in seinem Inneren brodelte.
    »Hast du gehört, daß Saganders Werkstatt abgebrannt ist?« fragte sie leise und beugte sich gleichzeitig ein wenig näher zu dem Jungen vor.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Du weißt es«, sagte Erki.
    Justus schaute ihn kurz an, und Lindell sah für einen Moment die Furcht in seinen Augen, so als hätte er Angst vor Erki, aber dann verstand er offensichtlich, wie lächerlich es war, etwas abzustreiten, das er dem alten Arbeitskameraden seines Vaters gerade erst erzählt hatte, und nickte Lindell bejahend zu.
    »Erzähl«, forderte sie Justus auf.
    Justus begann zögernd und mit Pausen zu sprechen, aber je länger er redete, desto flüssiger wurde seine Erzählung. Mitten in einem Satz verstummte er und sah Lindell an.
    »Sagge ist ein Idiot«, sagte er streitlustig.
    »Er hat deinen Papa sehr gelobt.«
    »Er hat ihn aber auch gefeuert«, entgegnete Justus, »da ist ein Lob nicht viel wert.«
    »Das ist wahr«, meinte Lindell lächelnd. »Da ist ein Lob nicht viel wert«, wiederholte sie die Worte.
    Als Justus seine Geschichte beendet hatte, wurde ihm klar, daß der Brand Erki arbeitslos gemacht hatte. Er stöhnte auf.
    »Ist schon gut«, sagte Erki, als hätte er die Gedanken des Jungen gelesen.
    »Was willst du jetzt tun?« fragte Lindell.
    »Ich weiß nicht.«
    »Möchtest du Berit anrufen und ihr erzählen, wo du bist?«
    »Komme ich ins Gefängnis?«
    »Du bist unter fünfzehn«, antwortete Lindell, »also kannst du noch nicht bestraft werden. Es wird ein paar Probleme geben, aber wir wissen ja, daß dein Papa gestorben ist und du deshalb sehr traurig warst.«
    »Da ist noch etwas«, sagte Erki ruhig, und Lindell lernte ihn immer mehr schätzen. »Justus hat einiges Geld dabei. Möchtest du, daß ich es erzähle?«
    Der Junge blieb stumm. Erki wartete einen Moment, dann sprach er weiter.
    »Er ist mit dem Taxi
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