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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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geliebt hatten. Eines Nachts war sie kurz vor Sonnenaufgang leise aufgestanden, zum offenen Fenster gegangen und hatte das Mückennetz heruntergehakt, um sich hinauszubeugen. Die Vögel hatten gesungen. Das Meer war spiegelblank und die Luft schon warm gewesen. Als sie sich umgedreht und Edvard im Bett betrachtet hatte, war sie so glücklich gewesen wie nie zuvor in ihrem Leben. Er hatte in der Nacht die Decke von sich geworfen, und auf seinem Bauch glänzten Schweißperlen.
    »Wir fahren dann wohl zu Ruben«, sagte Haver und unterbrach ihren Tagtraum. »Zwei Streifenwagen werden jeden Moment hier sein. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen ein bißchen Dampf machen.«
    »Kann ich mir dein Auto leihen, Eskil?«
    Ryde drehte sich zu Lindell um und sah sie an, als hätte er sich verhört.
    »Ich muß in die Stadt«, sagte sie verlegen.
    »Du kannst meins nehmen«, sagte Haver, um ihr aus der peinlichen Situation zu helfen, und warf ihr den Schlüssel zu.
    »Danke Ola«, sagte sie und lächelte. »Ich glaube, ihr packt das«, fügte sie hinzu, eine Wendung benutzend, die Edvard häufig gebraucht hatte.
    Sie ging hinaus, faltete den Zettel mit der Telefonnummer auseinander und tippte die Ziffern ein. Es klingelte fünf, sechs Mal, ehe der Finne sich meldete. Im Hintergrund hörte man Weihnachtslieder und schepperndes Porzellan.
    Sie stellte sich vor, aber noch ehe sie ihm ihr Anliegen erklären konnte, unterbrach Erki Karjalainen sie.
    »Er ist hier«, sagte er.
    Sie lachte erleichtert auf.
    »Haben Sie Berit angerufen?«
    »Nein«, antwortete Erki, »der Junge will nicht.«
    »Darf ich vorbeikommen?«
    »Warten Sie«, meinte Erki, und Lindell hörte, daß er sich vom Telefon entfernte. Sie versuchte sich vorzustellen, wie er wohnte, wie er aussah und wie er mit dem Jungen sprach. Die Zeit verging; Anns Blick schweifte über die Wiesen vor Saganders Hof, den Weg mit den geschmückten Wacholderbüschen hin zum Haus des Bruders auf dem Hügel, ein paar hundert Meter entfernt. Würde Agne seinen Bruder anrufen, um ihn zu warnen? Sie glaubte es eher nicht. Ihr Gefühl gründete sich auf Gunnel Saganders Reaktion. Die Frau wußte, was im Gange war, und sogar, daß ihr Mann Gefahr lief, wegen Beihilfe zum Mord angeklagt zu werden, aber Lindell hatte ihr angesehen, daß sie insgeheim das Eintreffen der Polizei begrüßte. Vielleicht sah es ihr Mann hinter seiner bärbeißigen Fassade sogar genauso. Zwillingsbrüder sind heikel, dachte Lindell und erinnerte sich an einen Fall von Vergewaltigung. Obwohl der Zwillingsbruder des mutmaßlichen Täters die Tat seines Bruders verabscheute, war er erst nach langem Zögern bereit gewesen, durch eine Aussage zu dessen Verurteilung beizutragen.
    Erki Karjalainen kehrte an den Apparat zurück. Lindell dürfe kommen, aber nicht Berit anrufen.
    »Versprochen«, sagte sie und beendete das Telefonat. Karjalainen wohnte nur zwanzig Minuten entfernt, wenn die Abkürzung durch den Wald befahrbar war. Sie hatte den Weg ein paarmal zusammen mit Edvard genommen. In diesen Wäldern kannte er einige seiner besten Pilzstellen.
    Während sie zu Havers Dienstwagen ging, wählte sie Berits Nummer. Sie konnte vor sich sehen, wie die Frau in ihrer Wohnung rastlos auf und ab ging.
    »Wir haben ihn gefunden«, sagte Lindell.
    Berit Jonsson begann zu weinen, und es verging einige Zeit, bis Ann wieder mit ihr sprechen konnte.
    »Es dauert noch etwas, bis er nach Hause kommt«, sagte Lindell, »aber er ist in guten Händen, das verspreche ich Ihnen.«

39
    Ruben Sagander trat gegen ein Stück Blech, so daß es im hohen Bogen davonflog. Ein Glück, daß Vater tot ist, dachte er, und versuchte ruhig zu bleiben, indem er durch die Nase einatmete, seine Lungen füllte und die Schultern hochzog. Am liebsten hätte er sich die Wut über das eingestürzte Gebäude vor ihm von der Seele gebrüllt.
    Erbaut 1951, niedergebrannt fünfzig Jahre später. Das Schild mit der Aufschrift »Saganders Werkstatt« hatte sich aus der Verankerung gelöst und lag auf der Erde. Ein mobiler Kran der Feuerwehr hatte eines seiner Stützbeine auf das Schild heruntergelassen, so daß nur die Buchstaben »Saga« noch zu lesen waren. Zorn breitete sich in Rubens Körper aus. Er hatte ein paar Worte mit einem der Feuerwehrmänner gewechselt, ihm gesagt, wer er war und daß er und sein Bruder in den fünfziger Jahren angefangen hatten, bei ihrem Vater in der Werkstatt zu arbeiten. Der Feuerwehrmann hatte Rubens Wut für Trauer gehalten und versucht
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