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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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nach Lennarts Geschmack gewesen.
    Der Weißrusse, dem er den Revolver abgekauft hatte, war nicht sonderlich überrascht gewesen. Er hatte davon gehört, was dem kleinen John passiert war, und Lennarts Wunsch verstanden. Lennart durfte die Waffe abstottern, was normalerweise nicht möglich war. »Gib acht, daß du überlebst«, hatte der Russe lakonisch bemerkt, »damit du ihn bezahlen kannst.«
    Lennart hatte niemals jemanden töten wollen, aber jetzt brauchte er eine Waffe. Mit einem Revolver konnte er zeigen, daß er es ernst meinte.
    Immer wieder mußte er die Waffe in die Hand nehmen. Sie war schön und beängstigend, Anspannung und Erwartung wuchsen in ihm, so als wäre seine eigene Bedeutung mit dem Revolver gestiegen.
    In den letzten sechsunddreißig Stunden hatte er keinen Tropfen Alkohol angerührt. Er konnte sich nicht erinnern, wann er in den letzten Jahren so lange nüchtern geblieben war. Vielleicht, als er das letzte Mal in Untersuchungshaft gesessen hatte. Aber damals hätte er fast gestanden, nur um an ein Bier heranzukommen.
    Er fühlte sich wie ein anderer Mensch, so als wäre der alte Lennart aus seinem Körper gestiegen und würde jetzt die Hülle betrachten. Er sah sich in der Wohnung umhergehen, am Fenster stehen und auf den Flockenwirbel hinausschauen, den Revolver in die Hand nehmen und sich anziehen.
    Heute abend mußte er Klarheit bekommen. Er war fest davon überzeugt, daß Berit in der Sache drinhing, aber jetzt würde die Wahrheit ans Licht kommen. Gleichzeitig wußte er jedoch, daß er ihr niemals etwas antun würde. Sie war Johns Frau und Justus’ Mutter.
    Er wollte ihren Unschuldsbeteuerungen nur zu gerne glauben, aber Mossas Worte hallten unaufhörlich in Lennarts Kopf wider. Eine »Hure« hatte der Iraner sie genannt. Er hatte Mossa immer vertraut, und warum sollte er ausgerechnet in diesem Punkt lügen?
    War Dick der Mörder? Lennart hatte ihn lange nicht mehr gesehen. Jemand hatte ihm gesagt, er sei in Holland. Das mag sein, dachte Lennart, aber ich könnte ihm hinterherreisen. Wenn er denkt, er kann sich aus dem Staub machen, irrt er sich gewaltig. Wenn nötig, werde ich ihn bis ans Ende der Welt verfolgen.
    Stocknüchtern trat er in den Schnee hinaus. Er war ganz ruhig und mußte seltsamerweise an seinen Vater denken. Lag es an dem kurzen Intermezzo als Schneeräumer zusammen mit Micke, daß seine Gedanken immer öfter in die Vergangenheit schweiften? Albin war gut gewesen, nicht nur als Dachdecker, sondern auch als Vater. Zu dieser Einsicht war Lennart im Laufe der Jahre gekommen, vor allem, wenn er John zusammen mit Justus gesehen hatte.
    Er seufzte schwer. Wieder stand er auf dem Brantings torg. Kein Traktor, keine grölenden Jugendlichen waren zu sehen, nur große Mengen Schnee. Seine Eingeweide krampften sich im Verlangen nach Alkohol zusammen, als wäre in seinem Körper ein Stahlseil montiert, das ganz langsam um einen zerbrechlichen Kern aus Angst zugezogen wurde. Jeden Moment konnte alles in ihm nachgeben und er nach Hause laufen und einen Schnaps trinken, doch das würde bedeuten, die Jagd auf den Mörder seines Bruders für alle Zeit aufzugeben.
    Verbissen stapfte er weiter. Adventssterne und bunte blinkende Lämpchen auf den Balkongeländern säumten seinen Weg. »Albin und John«, murmelte er kaum hörbar im Rhythmus seiner Schritte. Es kam ihm so vor, als wäre sein Vater bei ihm, als wäre Albin von seinem Dach und seinem Himmel herabgestiegen, um ihm beizustehen. Stumm ging der Vater an seiner Seite. Ab und an zeigte er vor einem Haus nach oben, und Lennart begriff, daß Albin auf diesem Dach gearbeitet hatte.

41
    Lindell fuhr langsam. Zum einen war der Wagen ungewohnt, zum anderen bereitete ihr der Straßenzustand Probleme. Der Wind hatte den Schnee auf freiem Feld zu schwer überwindbaren, hart gepreßten Wällen zusammengetrieben, und als sie in den Wald kam, war der Untergrund tückisch vereist.
    Sie erreichte die Kirche von Bälinge und wußte, daß sie es geschafft hatte. Auf Havers Stadtplan hatte sie die Straße markiert, in der Erki Karjalainen wohnte. Nachdem sie eine Zeitlang auf den kleinen Straßen in dem dichtbebauten Wohngebiet herumgekurvt war, gelangte sie schließlich in eine Sackgasse. Sie mußte wenden und entdeckte, daß sie trotz des Plans in die falsche Siedlung gefahren war.
    Sie wurde immer gereizter, aber auch nervöser. Sie kannte die Symptome. Irgendwo lauerte Gefahr. Justus war jetzt zwar in Sicherheit, aber etwas anderes warf immer
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