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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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ausreichen. Und wenn nach ein paar Wochen niemand mehr davon sprach, dann gäbe es schon einen Weg, die Akte verschwinden zu lassen. Wenn das bei Mordfällen möglich war, bei denen der Malteserorden sich als Alleinerbe entpuppte, warum dann nicht auch bei den Aktionen der Gruppe, die sich »Mucca Pazza« nannte und nicht aus Egoismus handelte.
    »Komm jetzt«, sagte er zu dem schwarzen Tier zu seinen Füßen. »Wir machen einen Spaziergang.«
    *
    Nur knapp hatte sie es geschafft, den Italienern zu entkommen. Ein stechender Schmerz war ihr in den Arm gefahren, als sie auf dem Motorrad flüchtete, doch sie konnte sich nicht darum kümmern. Sie jagte die Straßen durchs Industriegebiet und am Schiffsmotorenwerk vorbei in Richtung Bagnoli. Die Morgensonne hatte sich über den Karst erhoben und blendete sie, während sich von Süden her schwarze Wolken heraufschoben und Triest verdunkelten. Einmal hatte sie an einer Kreuzung einen Streifenwagen gesehen, doch niemand verfolgte sie. In Bagnoli superiore, das auf slowenisch Konec hieß, Ende, hielt sie kurz. Vor einem Haus flatterten Laken im Wind. Eines riß sie von der Leine, knüllte es zusammen und fuhr weiter ins Val Rosandra hinein. Nach einer Viertelstunde hatte sie den Steg erreicht, der über das Flüßchen führte, und stieg ab. Bis zur Grenze waren es noch fünfzig Meter.
    Branka nahm das Laken und ging zum Wasser hinab. Sie kümmerte sich nicht um die Kreidespuren, mit denen man einige Stellen am Ufer markiert hatte. An einem Baum flatterte der Rest eines Plastikbandes mit der Aufschrift »op – Polizia di Stato – Stop – Poli«. Vorsichtig wusch sie ihren linken Oberarm. Es schmerzte, als sie die Wunde berührte. Behutsam tastete sie die Ränder ab. Sie war sich nicht sicher, ob die Kugel sie lediglich gestreift hatte. Dann riß sie das Laken in Streifen, legte sich einen Verband an und tastete ihre Hosentasche ab. Eine Zigarette hätte ihr jetzt geholfen.
    Branka brauchte lange, bis sie in Parenzo ankam. Die slowenische Polizei hatte sie zweimal kontrolliert. Die erste Straßensperre war hinter Capodistria aufgebaut, die zweite einen Kilometer vor der Grenze zu Kroatien, und auch am Übergang stand eine lange Schlange von Fahrzeugen, an der sie mit dem Motorrad langsam vorbeifuhr. Die Grenzpolizei prüfte ihren Ausweis genau. Man wollte von ihr wissen, weshalb er feucht war. Sie erzählte, daß sie ihn bei der Wäsche in der Tasche vergessen, es aber Gott sei Dank früh genug bemerkt hatte. Sie lachte. Der Grenzpolizist antwortete, daß sie so kaum einen Mann fände, der sie heiraten würde. Darüber, daß sie nur ein T-Shirt trug und einen Verband am linken Oberarm, wunderte er sich nicht.
    Branka bockte das Motorrad am Ortseingang auf, nahm ihr Hemd mit dem Geld aus dem Stauraum unter dem Sattel und ging wie immer den Rest zu Fuß zu Viktor Drakičs Domizil. Sie wunderte sich über das Polizeiaufgebot in den Straßen und beschloß, in einer Bar gegenüber einen Kaffee zu trinken, bevor sie sich bei ihrem Boß meldete.
    »Komm mit.«
    Branka fuhr herum. Es war der Gorilla des Chefs.
    Am Ende der Straße stiegen sie in einen schwarzen Mercedes. Drakič saß im Fond.
    »Es ist besser, wenn wir Ferien machen«, sagte er. »Hast du das Geld?« Dann gab er dem Fahrer ein Zeichen und der Wagen setzte sich in Bewegung.
    Branka reichte ihm das Bündel. »Wohin fahren wir?«
    »Frischgewaschen?« Drakič warf einen Blick hinein. »Wieviel ist es?«
    »Zähl selbst. Ich hatte keine Zeit. Wohin fahren wir?«
    »Dahin, wo wir sicher sind.«
    *
    »Wo sind die Dokumente, Laurenti? Und mein Jackett?« Galvano lebte also.
    Am Nachmittag erst hatte Laurenti Zeit für den Besuch im Krankenhaus. Er stand neben Galvanos Bett in der Universitätsklinik Cattinara. Ein Foto der beiden trutzigen Betontürme des Klinikums auf einem Hügel über Triest hatte ein französischer Fotograf 1986 als »Unglücksreaktor von Tschernobyl« an ein amerikanisches Wochenmagazin verkauft, als es noch keine Fotos des Kernkraftwerks gab. Rasend schnell war das Bild um die Welt gegangen, doch war der Betrug aufgeflogen, als man es schließlich auch in Triest sah.
    »Welche Dokumente, Doc?« Laurenti kratzte sich am Kopf. Der Alte hatte recht. Im Trubel zwischen Verfolgung und Rettung, Viehtrieb und Bestandsaufnahme hatte niemand mehr daran gedacht, das Jackett des ehemaligen Gerichtsmediziners aufzulesen. Zertrampelt und von Kuhfladen bedeckt war es auf der Mole zurückgeblieben.
    »Die
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