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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht
Autoren: Bruno Morchio
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Gefühl nicht los, dass sich hier inzwischen etwas abgespielt hatte, was nicht mehr rückgängig zu machen war. Als ich von der Vespa abstieg, durchzuckte mich vom Schulterblatt ausgehend ein fürchterlicher Schmerz. Meine Lippe war geschwollen, und vielleicht würde mir auch noch der eine oder andere Zahn ausfallen. Mit meinen rauchgeschwärzten, von Blut und Erde verklebten Fingern tastete ich sie vorsichtig ab, doch zum Glück schien keiner zu wackeln. Auch der Arm, mit dem ich den Stockhieb abgewehrt hatte, tat höllisch weh, schien aber wider Erwarten noch heil zu sein.
    Auch dieses Mal fesselte mich der Blick auf die Bucht. Eingerahmt von der Marinebasis und vom Abba Urci lag das Meer still vor mir, nur leicht vom Scirocco gekräuselt, und wirkte auf mich wie ein Bühnenbild, bei dem nach dem letzten Akt der Vorhang fällt. Mir wurde bewusst, dass auch ich ihm so etwas wie einen letzten Gruß entbot, schließlich wusste ich nicht, ob ich jemals wieder nach Sarrala zurückkehren würde, auch wenn das zärtliche Gefühl, das mich mit Virgilio, Angelica und Laura verband, sehr tief war. Doch nach den jüngsten Ereignissen würde nichts mehr wie früher sein.
    Langsam ging ich auf die Veranda zu, der Kies knirschte unter meinen Füßen.
    »Signor Ganci? Sind Sie zu Hause?«, rief ich so laut ich konnte.
    Meine Stimme prallte auf eine Mauer aus Schweigen. Die Terrassentür, die zum Wohnzimmer führte, war verschlossen. Die späte Nachmittagssonne, die sich in den Scheiben spiegelte, erlaubte keinen Blick nach drinnen. Aus der Hosentasche zog ich ein Papiertaschentuch und umwickelte meine Hand damit, um keine Spuren zu hinterlassen. Als ich die Klinke niederdrückte, sprang die Tür auf, und sofort schlug mir wieder dieser erdrückende Geruch nach Desinfektionsmitteln und Medikamenten entgegen.
    Ich nahm die Sonnenbrille ab. Und da sah ich ihn. Otello Ganci. Er saß genau dort, wo ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Die Decke war auf den Boden gerutscht, und sein Körper saß zusammengesunken in dem großen Ledersessel. Die Arme hingen über die Armlehnen, sein Kopf war nach vorn gefallen, das Kinn ruhte auf der Brust. Der Morgenrock, die Hausjacke, die Pyjamahose, die Pantoffeln waren blutdurchtränkt. Am Hals hatte er eine tiefe Wunde von dem Messer, mit dem man ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Aus dem halb geöffneten Mund schien ein dünnes Rinnsal aus Speichel und Blut zu fließen, das jedoch schon geronnen war. Seine Augen waren geschlossen. Ich fragte mich, ob der Mörder sie ihm in einer letzten Anwandlung von Mitgefühl zugedrückt oder ob er sie im Herannahen des Todes selbst geschlossen hatte.
    Wie es aussah, hatte er keinen Widerstand geleistet. Hatte der Mörder sich ihm von hinten genähert, während er schlief? Das würde ich wohl nie erfahren, ebenso wenig wie all die anderen Geheimnisse, die niemand je ergründen würde. Ehrlich gesagt glaubte ich auch nicht, dass die Justiz, auf die mein Freund Pertusiello nach wie vor blind vertraute, es jemals schaffen würde, den Fall vollständig aufzuklären.
    Ich ging wieder ins Freie. Meine Schmerzen hatten zugenommen, doch ich biss die Zähne zusammen, stieg auf die Vespa und machte mich auf den Rückweg.
    Als ich auf Virgilios Hof fuhr, bremste ich abrupt ab. Vor dem Haus stand ein Jeep der Carabinieri. Da niemand im Wagen saß, nahm ich an, dass die Polizisten gerade eine Erkundungstour über das Gelände machten. So schnell ich konnte lief ich ins Haus und brüllte Aglajas Namen, doch meine Tochter antwortete nicht. Das Haus war leer. Panik machte sich in mir breit, und ich verfluchte die Tatsache, dass die vier noch nicht nach Cagliari aufgebrochen waren. Ich griff nach dem Handy und wählte ihre Nummer. Ihr Telefon war ausgeschaltet. Dann versuchte ich mir einzureden, dass kein Grund zur Sorge bestünde, da das Verbrechen längst geschehen war und ich nichts unternommen hatte, um es zu verhindern. Warum also sollte sich jemand an meiner Tochter vergreifen?
    Ich ging wieder hinaus und hastete über den Pfad durch die Weinberge hinunter zum Meer, während ich mir inständig wünschte, ja sogar betete, dass Clara wirklich so unsagbar blöd gewesen war und mir die Carabinieri auf den Hals gehetzt hatte. Nachdem ichdie Düne und die Lentisken-Sträucher hinter mir gelassen hatte, arbeitete ich mich noch ein paar Meter durch den Sand, bis ich den ganzen Strand überblicken konnte. Vereinzelte Badegäste, ein paar noch geöffnete Sonnenschirme und eine
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