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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester
Autoren: Diane Chamberlain
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manipulativ, hinterhältig und grausam, bevor ich überhaupt die sechs Schritte durch das Wohnzimmer gemacht hatte. Doch sie weinte. Ich hörte die Tränen in ihrer Stimme. Ich ging in Richtung Küche und betrachtete vom Türrahmen aus die Szenerie. Julie stach gerade mit einem Kugelformer Bällchen aus einer Melone und ging dabei zu Werke, als würde sie ihrer Tochter das Herz aus dem Leib schneiden. Shannon lief um die Kücheninsel herum und tippte wild Nummern in ihr Handy, während sie ihre Mutter mit Schimpfwörtern bedachte. Ich beobachtete die beiden bei ihrem Affentanz, den ich selbst nur allzu gut kannte.
    Shannon bemerkte mich als Erste. Sie klappte ihr Handy zu, blickte zu Boden und ging dann hinaus.
    “Tschüss, Nana”, murmelte sie leise, als sie an mir vorbeiging. Dann hörte ich, wie die Haustür aufging und wieder zuschlug.
    Julie legte den Kugelformer hin und rieb sich die Stirn. Ihre Augen waren geschlossen, und sie sah aus, als hätte sie Kopfschmerzen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Welche Worte hätten mir geholfen, als ich in ihrer Situation war? Welche Worte wären in meinem Dickschädel angekommen?
    “Was ist los?”, fragte ich.
    Julie wischte sich die Hände am Küchenpapier ab und lehnte sich dann mit über der Brust verschränkten Armen an den Tresen. “Sie besteht darauf, in einer Woche mit Tanner fortzuziehen”, erklärte sie. “Während ich weg war, haben sie hier eine große Party gefeiert, Mom. Dutzende von Teenagern. Alkohol und wer weiß was noch. Sie und Tanner haben in meinem Bett geschlafen.”
    Unwichtige Kleinigkeiten in dem großen Ganzen, fand ich. Ich war müde. Ich dachte an Isabel, die sich nachts in der Bucht mit Ned getroffen hatte. An mich und Ross auf dem Blaubeergrundstück. “Es ist ein endloser Kreislauf”, konstatierte ich. “Und Shannon wird ihn in siebzehn Jahren oder so ebenfalls erleben.”
    Julie sah mich an, als hätte sie kein Wort verstanden.
    Wir hörten, wie sich die Haustür öffnete, und kurz darauf kamen Lucy und Ethan in die Küche. Ethan nahm mich nicht einmal wahr, als er zu Julie ging und sie umarmte. Sie hielt die Augen geschlossen, als sie ihn festhielt. Dann löste sie sich von ihm und umfasste sein Gesicht mit den Händen.
    “Wie geht es dir?” Sie sah ihm in die Augen, und ich wusste, dass hier etwas Starkes zwischen den beiden heranwuchs. Ich hatte schon beim Barbecue das Gefühl gehabt, doch nun war ich sicher.
    Lucy legte mir den Arm um die Taille. “Hast du es ihr gesagt?”, fragte sie Julie, die den Kopf schüttelte.
    “Mir was gesagt?”, wollte ich wissen. “Was ist los?”
    Ethan sah mich an. “Mein Vater hat sich gestern Abend umgebracht.”
    Mein Gott
. Ich war nicht sicher, ob ich diese Worte ausgesprochen oder nur gedacht hatte. Das hatte ich nicht erwartet. Mir war schwindlig, und Ethan schob mir rasch einen Küchenstuhl unter. Ich stützte mich auf seinen Arm, als ich mich setzte, und sah ihm dann in die rot geränderten Augen. “Es tut mir leid, Ethan.”
    Er nickte.
    “Setz du dich auch hin”, bat Julie ihn, und er widersetzte sich nicht, als sie ihn zu einem Stuhl führte. Er wirkte ebenso benommen, wie ich mich fühlte.
    “Er hat gestanden, Mom”, sagte Julie. “Du hattest recht. Isabel hatte die Nachricht für ihn geschrieben. Nachdem er sie gelesen hatte, verbot er Ned, sie in jener Nacht an der Plattform zu treffen, damit er selbst hingehen konnte. Er wollte sie überreden, Daddy nichts von … von dir und Mr. Chapman zu erzählen. Er sagte, es sei ein Unfall gewesen. Dass Izzy das Gleichgewicht verloren und er noch versucht hätte, sie am Arm festzuhalten. Er hatte nicht bemerkt, dass sie sich den Kopf angestoßen hatte. Erst am nächsten Tag erfuhr er, dass sie ertrunken war.”
    “Zumindest behauptet er das.” Ethan rieb sich die Augen.
    “Arme Seele”, bedauerte ich Ross. Hätte ich seinen Selbstmord verhindert, wenn ich eingewilligt hätte, ihn zu treffen? Das würde ich niemals erfahren. Ich sah Ethan an. Ich wollte es ihm ein bisschen leichter machen. “Dein Vater war so fehlerhaft wie jeder andere Mensch auf dieser Erde”, begann ich. “Aber ich glaube ihm. Ich glaube nicht, dass er eines vorsätzlichen Mordes fähig war, erst recht nicht an einem Mädchen, das er für seine Tochter hielt.” Der Gedanke an Isabels letzte Minuten holte mich wie so oft wieder ein, doch ich stieß ihn beiseite. Damit würde ich mich später beschäftigen. Nicht hier. Nicht jetzt. “Um wen es mir
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