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Der Tod kommt in schwarz-lila

Titel: Der Tod kommt in schwarz-lila
Autoren: Ulrich Hefne
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W ESTLICH VON W ANGEROOGE
    Sanft rollten die Wellen der Nordsee gegen den Rumpf des alten Kutters. Die Positionslichter schimmerten über das gekräuselte Wasser. Kein Schiff kreuzte ihren Kurs. Die Nordsee zeigte ihre angenehme Seite. Ein leichter Westwind umschmeichelte die schweißnassen Gesichter der Fischer und blies ihnen salzige Luft in die Nasen. Säuberlich aufgereiht hingen die Netze über der Reling und warteten auf Beute.
    Harte Arbeit lag vor Kapitän Hansen und seinen Männern. Am späten Nachmittag waren sie aufgebrochen und hatten den Hafen verlassen. Der Wetterbericht verhieß zwei gute Tage und diese Zeit galt es zu nutzen. Hier draußen am Borkumgrund westlich von Wangerooge hatten sie vor knapp zwei Wochen schon einmal gefischt. Prall gefüllt hatte die Winsch ihre Netze an Deck gehievt. Noch einmal so einen Fang und sein Schuldenberg wäre um ein Beträchtliches kleiner.
    Hansen stand hinter dem Ruder und blickte hinaus auf die weite See. In der mondlosen Nacht konnte er den Horizont nur erahnen. Achtern warnte ein Leuchtfeuer vor gefährlichen Untiefen. Er wusste genau, wo er sich befand. Seit über dreißig Jahren kreuzte er in diesen Gewässern. Er kannte die Tücken der Nordsee. Gerade bei Neumond galt es besonders wachsam zu sein. Innerhalb kürzester Zeit konnten sich die sanft spielenden Wellen in tobende und alles verschlingende Gischt verwandeln. Erst wenn das Wasser vom Nordmeer in das schmale Nordseebecken eingelaufen war, konnte er sicher sein, dass es bei einer ruhigen See blieb.
    So nahe am Wangerooger Fahrwasser war es immer ratsam, einen Blick auf das Radar zu werfen. Doch der Schirm flimmerte in beruhigendem Grün. Kein Schiffsverkehr störte ihre Kreise.
    Hansen lauschte in die Nacht. Nur das monotone und gutmütige Tuckern des alten Diesels war zu hören. Fast zwanzigtausend Mark hatte die Reparatur des Motors gekostet. Für ihn ein kleines Vermögen.
    Er warf einen Blick durch das schmutzige Fensterglas des Ruderhauses und sah Willemsen, der auf dem Vordeck stand und sich eine Zigarette anzündete. Nur noch wenige Minuten bis zum Wendepunkt, dann würde er auf volle Kraft gehen, damit Willemsen und Jan Ekke, der zweite Helfer an Bord, das Fanggeschirr wegfieren konnten. Diese Arbeit bedurfte äußerster Konzentration. Doch Hansen machte sich keine Sorgen. Sie waren ein eingespieltes Team. Jan Ekke Mijboer war zwar erst ein halbes Jahr auf Hansens Boot, hatte aber schon auf anderen Trawlern gearbeitet, bis er für fast ein Jahr ins Gefängnis musste. Er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht. Warum auch? Er war ein junger Mann und hatte für seine Dummheit gebüßt. Er hatte bezahlt. Jeden einzelnen Tag, jede einsame Nacht in einer engen und muffigen Zelle. Weitab von der salzigen Luft, weitab von der Freiheit der See, weitab von seinem Kurs.
    Hansen blickte abermals auf den Radarschirm. Was war das? Eine Ortung? Der Schirm war leer. »Vermutlich nur Einbildung«, dachte er und konzentrierte sich wieder auf das Ruder. Er schaute hinaus, doch jetzt war Willemsen plötzlich verschwunden.
    »Verdammt, was treiben die beiden da draußen?«, murmelte er. Sein Blick suchte durch die verschmierten Scheiben des Ruderhauses das Vorschiff ab, doch von Willemsen und Jan Ekke fehlte jede Spur. Er drosselte die Maschine und arretierte das Ruder. Mit einem Fluch auf den Lippen ging er nach draußen in die milde Nacht. Der trübe Schein der Bootslichter erhellte nur leidlich das Deck. Hansen umrundete das Ruderhaus und wandte sich nach Steuerbord. Im Vorbeigehen überprüfte er den festen Sitz der Kurrleinen an der Winsch. Was hatten sich die beiden Kerle nur gedacht, kurz vor dem Wendemanöver einfach die Netze zu verlassen?
    Als er auf das Heck des Schiffes zuging, hörte er ein schepperndes Geräusch. Er fuhr zusammen und spähte hinaus in die Finsternis. Nichts war zu erkennen. Seit achtundvierzig Jahren fuhr er zur See und war beileibe kein ängstlicher Mensch, dennoch lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.
    »Sven, Jan Ekke, verdammt, wo seid ihr?«, rief er in die undurchdringliche Schwärze.
    Keine Antwort. Nur das Plätschern der Wellen füllte die Stille. Das Leuchtfeuer von Wangerooge schickte einen gleißend hellen Strahl nach dem anderen über das Wasser und doch wäre Hansen beinahe gestolpert. Auf der Laufplanke lag etwas, das dort nicht hingehörte. Weich und leblos fühlte es sich an, als Hansen mit dem Fuß danach tastete.
    »Was zum Teufel …?« Er bückte sich.
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