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Der Tod kommt in schwarz-lila

Titel: Der Tod kommt in schwarz-lila
Autoren: Ulrich Hefne
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annehmen wollte, waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Jeder neue Tag in der Schule kam einem Spießrutenlauf gleich und jedes neue Wortgefecht mit seinen Vorgesetzten ähnelte einem Kampf gegen Windmühlen. Egal was er tat, egal wie er sich verhielt: Er wurde den Makel nicht mehr los. Wenn er das Lehrerzimmer betrat, dann verstummten die Gespräche. Wenn er sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen unterhalten wollte, blieb es bei höflichen, aber nichts sagenden Floskeln, ehe sie ihn stehen ließen.
    Schließlich hatte er kapituliert, die Flagge gestrichen und war zurück nach Jever gezogen. Er wusste, dass es am Ende nicht mehr darum gegangen war, ob er Schuld auf sein Gewissen geladen hatte; schon der leise Verdacht hatte genügt, ihm das Kainsmal auf die Stirn zu drücken. Sieben Jahre später redete niemand mehr davon. Nur er konnte nicht vergessen.
    Er nahm den Weg am Bahnhof entlang. Die letzten Lichter von Wangerooge blieben hinter ihm zurück. Über die südliche Route wanderte er hinaus zu den Ostdünen.
    Er liebte die Vögel und wusste, dass er sie bei der Brut nicht stören durfte. Er hatte einen lichtstarken Film eingelegt und würde in seinem Unterstand warten, bis sich die Gelegenheit ergab. Bei Tagesanbruch waren die Tiere am aktivsten. Ein schwebender Austernfischer und im Hintergrund nur die stürmischen Wolken des Küstenlandes, das wäre eine Aufnahme, wie er sie sich vorstellte. Trotz aller Geduld, die er brauchte, wusste er, dass er schnell handeln musste. Oft genug spielte das Wetter an der Nordsee Kapriolen. Gestern war es noch mild und trocken gewesen. Und heute? Für alle Fälle hatte er seinen Blitz aufgeladen.
    Als Rudolf Gabler am Rollfeld des Flugplatzes vorüberging, begegnete ihm ein Pärchen, das in dieser stürmischen Nacht ebenfalls die Ruhe und Abgeschiedenheit des Ostteils der Insel suchte. Der sandige Weg beschrieb einen Linksbogen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Gabler holte seine Taschenlampe hervor und richtete den hellen Lichtstrahl auf den Weg. Der Sand glitzerte. Dünen umgaben ihn. Drei Kilometer hatte er bereits zurückgelegt, er war das Wandern gewohnt. Es strengte ihn überhaupt nicht an. Er war fünfundsechzig und fühlte sich noch lange nicht alt, auch wenn ihm sein Spiegelbild oft genug das Gegenteil beweisen wollte.
    Freunde aus vergangenen Tagen hatte er keine mehr. Sie wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Seine Frau war schon lange tot und Kinder hatte sie ihm nie geschenkt. Sie hatte nie diesen innigen Kinderwunsch in sich getragen, so wie er es von anderen Frauen kannte.
    Seit über einem halben Jahr war er nicht mehr an ihrem Grab gewesen. Er schämte sich dafür. Andererseits war es gut, dass sie nicht mehr miterleben musste, welchen Streich ihm das Leben gespielt hatte. Seine Frau war immer zart und zerbrechlich gewesen. Sie wäre daran zugrunde gegangen.
    Er war alleine mit seinen düsteren Gedanken, mit sich, mit dem Wind und den rauschenden und tobenden Wellen der Nordsee. Die Luft schmeckte frisch und er spürte einen salzigen Belag auf seinen Lippen.
    Kurz hinter der Weggabelung zweigte ein Trampelpfad ab und führte mitten hinein in die Dünenlandschaft Wangerooges. Hier hatte er gestern bei Tageslicht den Weg verlassen, um nach dem Gelege eines Austernfischers zu suchen. Vorsichtig war er einige Meter weit durch die Dünen gegangen und plötzlich auf brütende Vögel gestoßen. Zuerst hatte er angenommen, die Brutstätten einiger Silbermöwen ausgemacht zu haben, doch dann hatte sein Blick das schwarzweiß gefleckte Gefieder eines Vogels gestreift, der sich tief ins Gras duckte. Ein langer, gelber Schnabel und kleine rote Augenpunkte, die nervös hin und her flogen. Sieben Gelege hatte er am Ende gezählt.
    Doch die Einstellungen hatten ihm noch nicht zugesagt. Die Vögel saßen träge auf ihren Nestern. So hatte er beschlossen, den kommenden Morgen zu nutzen. Er hatte ein Nest ausgewählt, das im Schatten einer Düne lag. Eine ganz besondere Einstellung, wie er fand. In der Nähe hatte er sich mit einem Tarnnetz einen kleinen Unterstand gebaut. Dann war er einige Zeit geblieben. Die Vögel sollten sich an seine Anwesenheit gewöhnen. Am Nachmittag war er zurückgegangen, hatte sich hingelegt und vier Stunden geschlafen. Er wusste, dass es lange dauern konnte, bis er zufrieden war. Rudolf Gabler war ein Perfektionist. Er wusste genau, was er wollte, und war nicht bereit, auch nur einen Zentimeter davon abzuweichen. So war es
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