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Der Tod kommt in schwarz-lila

Titel: Der Tod kommt in schwarz-lila
Autoren: Ulrich Hefne
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Vor ihm lag ein menschlicher Körper. Im vorbeifliegenden Licht erkannte er das Gesicht von Willemsen. Eine dunkel glänzende Spur lief von dessen Kopf zur Reling hinüber und Hansen wusste sofort, dass hier das Leben aus Willemsens Schädel rann. Er beugte sich über den regungslosen Körper. Plötzlich hörte er erneut das ungewöhnliche Geräusch. Hansen fuhr herum. Ein brutaler Schlag gegen seinen Kopf bremste die Bewegung. Schmerzen durchfluteten ihn. Dann tauchte er mitten hinein in ein Meer der Besinnungslosigkeit.
    *
    Erschöpft legte er den Schreibstift zur Seite. Ein zufriedener Blick huschte über die noch feuchten Zeilen. Er pustete und erst als die Tinte getrocknet war, schloss er das Buch. Andächtig legte er es auf den Altar. Es war ein feierlicher Moment und er genoss jede einzelne Sekunde.
    Seit dreizehn Jahren konnte er zum ersten Mal wieder frei atmen. Es war eine Erlösung. Wie ein zentnerschwerer Stein lastete die Schuld der anderen auf seinem Gewissen. Heute hatte er diesen Stein eine kleine Strecke anheben können.
    Das bleiche, bläuliche Gesicht tauchte wieder vor seinen Augen auf. Das kleine Gesicht aus der Dunkelheit. Doch diesmal waren die Züge nicht verzerrt, die Augen nicht schreckensstarr auf ihn gerichtet. Diesmal nicht. Im Gegenteil. Ein weiches Lächeln lag auf den Lippen.
    Er ging hinüber zum Tisch. Dort lag seine Beute. Der Beweis seiner Aufrichtigkeit. Er hatte sich zurückgeholt, was ihm damals gestohlen worden war. Das Taschentuch war rot.
    Er blickte auf seine Armbanduhr. Eine Funkuhr. Sie war teuer gewesen. Lütjens hatte sie ihm damals geschenkt, weil er stets hilfsbereit gewesen war und sich um alles gekümmert hatte.
    Auch heute war er hilfsbereit gewesen und heute hatte er sich eine Belohnung verdient: Ruhe.
    Er steckte das blutige Taschentuch in seine Jacke und zog sich die Stiefel an. Er war müde, doch er hatte noch etwas zu erledigen, das keinen Aufschub duldete.
    Die Tür knarrte, als er hinaus in den Flur ging.
    Noch immer herrschte hier ein strenger Brandgeruch. Die verkohlten Balken auf der Südseite der alten Villa hatten den Geruch der Flammen in ihren Poren eingeschlossen und ließen ihn nur zögernd wieder frei. Er hasste diesen Gestank. Als er durch die Hintertür hinaus ins Freie trat, sog er die kühle und salzige Seeluft tief in seine Lungen.
    Er ging hinüber zum Schuppen. Es war dunkel, denn Strom gab es hier schon lange nicht mehr. Er öffnete die kleine Tür, doch plötzlich hielt er inne. Die vorwurfsvollen Gesichter kehrten mit lauten Stimmen zurück. Wie ein Sturmgewitter brachen sie über ihn herein, die Schreie hallten in seinen Ohren. Sein Kopf schien platzen zu wollen und seine Hände zitterten.
    Warum nur? Er hatte doch getan, was sie von ihm gefordert hatten. Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe?
    Er sank auf die Knie. Die Schreie wurden greller. Dann kam das andere, das verzerrte, das unnachgiebige und grausame Gesicht aus der Finsternis hervor. Schützend schlug er die Hände vor die Augen. Doch es nutzte nichts. Er konnte dieses Bild nicht vertreiben.
    »Vater … nein, nicht … Es ist … es ist nur der Anfang«, stammelte er, doch die Fratze wollte nicht wieder verschwinden. Entkräftet sank er zu Boden. Seine Hände krallten sich in den feinen Sand.
    *
    Die Schreie der Möwen hallten durch das Morgengrauen. Dicke Wolken hingen über dem Himmel und ein stürmischer Wind blies von Westen her. Als er erwachte, wunderte er sich darüber, dass er im Freien lag. Zusammengekrümmt wie ein Kind im Mutterleib. Er fror. Es war Mai und noch immer wurde es nachts bitterkalt.
    Mühsam erhob er sich. Er massierte sich die Starre aus den Gliedern. Sein Kopf schmerzte. Langsam kehrten die Erinnerungen an die letzte Nacht wieder. Doch es waren nur noch Fragmente, vernebelte Bruchstücke aus einer anderen Welt. Als er den Schuppen betrat, blickte er sich suchend um. Dann fiel ihm wieder ein, warum er hierher gekommen war. Zielstrebig ging er auf den Schrank zu und öffnete ihn. Hier hinein hatte er die kleine Schachtel gelegt. Es war ein Geschenkkarton, bunt gemustert und mit einer roten Schleife auf dem Deckel. Mareike würde das Geschenk gefallen. Damals, zu ihrem siebten Geburtstag, hatte er ihr schon einmal ein kostbares Geschenk gemacht. Mit einem kleinen Ring hatte er sie überrascht. Sie hatte sich sehr darüber gefreut, war aufgesprungen, auf ihn zugestürmt und hatte ihn umarmt und auf die Wange geküsst. Heute hatte er sogar ein viel schöneres
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