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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen
Autoren: Heike Vullriede
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verlassen würde, um mögliche intime Gespräche zwischen ihm und Lisa nicht unbeabsichtigt mitzubekommen. Stattdessen lag der Schnarchsack jetzt mit seinem breiten Gesicht Marvins Bett offen zugewandt und freute sich auf interessante Wortgefechte.
»Gibt es nichts im Fernsehen, das Sie interessiert?«, fragte Marvin wenig freundlich.
Schnarchsack verzog den Mund, aber scheinbar hatte er verstanden. Er setzte sich auf, fummelte ungeschickt mit den Füßen in seinen ausgelatschten karierten Schlupfpantoffeln herum, verstaute auch den letzten Zeh darin und stand schließlich so schwerfällig auf, als erwartete er, dass man ihm zu Hilfe käme. Sie halfen ihm nicht. Mit bitterer Miene nahm er also seinen Morgenmantel vom Fußende des Bettes, zog ihn gemächlich an und setzte sich nervenzehrend langsam in Bewegung. Wortlos schlurfte er an ihnen vorbei und verließ tatsächlich den Raum.
»Da hast du es!«, sagte Lisa, in Richtung Tür blickend. »Deinen Leidensgenossen hast du bereits vergrault.«
»Wieso Leidensgenosse? Ich weiß ja gar nicht, was der hat.«
»Du hast ihn nicht gefragt, warum er hier ist?«
Lisa schüttelte den Kopf. Dann begann sie, ihren Tag zu schildern. Sie erzählte von einer Auseinandersetzung auf einem Meeting in der Firma, von ihrem peinlichen Verschlucken in Gegenwart ihrer auswärtigen Besucher während der Mittagspause im Restaurant und von ihrem chaotischen Heimweg.
»Ich bin fix und fertig!«
Sie redete lange, aber schnell; so, wie alles in ihrem Leben schnell gehen musste. Als sie gerade pausierte, setzte Marvin an, um über seinen Tag im Krankenhaus zu berichten. Doch Lisa stand schon wieder auf. Fahrig durchwühlte sie ihre Tasche, bis sie den Autoschlüssel aus den Tiefen des Futterals bergen konnte.
»Hörst du mir gar nicht zu?«, fragte er.
»Entschuldige! Ich bin todmüde und würde lieber Morgen wieder kommen, wenn das in Ordnung ist. Hier bist du ja gut aufgehoben. Bis Morgen, Schatz.«
Diesmal bekam er einen Kuss auf die Stirn geschmatzt und schon verschwand sie. Was blieb, war wieder nur ein süßer Duft und so viel Unberichtetes von seinem ersten Tag im Krankenhaus. Zwei Minuten später latschte Schnarchsack zurück ins Zimmer und legte sich hin. Marvin sah ihm nicht ins Gesicht, aber er fragte sich nun, weshalb der Kerl wohl hier war.

Am nächsten Morgen wurde Marvin um sieben Uhr von drei lebhaften Krankenschwestern überfallen. Kaum, dass er vom Schlaf zu Bewusstsein gelangt war, maß die eine ihm Blutdruck am linken und die andere den Puls am rechten Arm. Die Dritte fuhr eine Waage ins Zimmer, die aussah wie ein Rollstuhl. Dann drängten sie ihn aus dem Bett. Marvin schnappte sich schnell noch seinen Morgenmantel und ließ sich auf den Sitz der Waage fallen. Währenddessen wurde sein Bettzeug geschüttelt und geglättet, sein Nachttisch flüchtig abgewischt, ein neues Glas und eine Flasche Mineralwasser darauf gestellt, sein Gewicht gemessen. Dann zogen sie die Waage unter seinem Hintern weg – und nachdem das Ganze mit seinem Nachbarn genauso passiert war, verschwand der Spuk und die Stille eroberte den Raum zurück.
Noch immer ganz benommen schlich Marvin zurück ins Bett. Jetzt erst bemerkte er aus den Untiefen seines schlaftrunkenen Geistes, dass er sich gar nicht wohlfühlte. Also nun doch die angedrohte Übelkeit? Schon spürte er Brechreiz in sich aufsteigen. Marvin entschied sich, lieber ein Glas des frischen Mineralwassers zu trinken, sich auf die Seite zu legen und die Decke wie ein Kind über die Ohren zu ziehen. Dann schloss er die Lider. Vielleicht könnte er die Übelkeit ja einfach verschlafen.
Nach ein paar heftigen Drehungen im Bett hielt er es nicht mehr aus. Er hastete barfuß zur Toilette, riss den Toilettendeckel auf und blieb gebeugt darüber stehen.
Ein unaufhaltsames Kribbeln erfüllte seine Wangentaschen, dann floss der Speichel quellartig in seinem Mund zusammen. Beim Versuch zu schlucken, würgte er das erste Mal. Erschrocken beugte er den Kopf tiefer. Liebe Güte, das letzte Mal, als er sich erbrochen hatte, war er ein Kind gewesen. Der Blick in die Kloschüssel tat dann das Übrige. Mit einem Schwall entleerte er sich fast vollständig, wässrig. Den Rest würgte er in kleinen Pfützen hinterher. Es schmeckte sauer.
Nur gut, dass er zuvor dieses Glas Wasser getrunken hatte. Marvin spülte sich am Waschbecken den Mund aus, inspizierte seinen Schlafanzug nach unangenehmen Spuren und bewegte sich räuspernd zurück zum Bett. Sein Magen
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