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Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo

Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo

Titel: Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo
Autoren: Gerhard Feix
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ländlichen Gegend nicht. Zu ihrem Ehemann, der schon seit langem eigene Wege gegangen war und jetzt in München lebte, wollte sie auch nicht.
    So trieb sich Erna Sanders unangemeldet und stellungslos, stets auf der Suche nach ein bißchen Geborgenheit wochenlang in Kiel oder Hamburg umher. Nur am Monatsende, wenn es neue Lebensmittelkarten gab, kehrte sie für einige Tage zur Mutter zurück, nahm ihre Karten in Empfang, hinterließ etwas Geld und verschwand wieder. Was ihre Tochter dann trieb und wovon sie lebte, wußte Frau Sanders nicht. Das zu erraten, fiel jedoch der Kriminalpolizei nicht schwer.
    Erna Sanders hatte, unangemeldet und stellungslos wie sie war, nur zwei Existenzmöglichkeiten: Schwarzmarktgeschäfte oder Prostitution, vielleicht auch beides. Beide Gewerbe hatten in jenen Wochen und Monaten Hochkonjunktur. Die Zahl der gewerbsmäßigen und erst recht die der Gelegenheitsprostituierten ließ sich nicht einmal annähernd bestimmen. Hamburg, seit jeher eine Hochburg der Prostitution, übte eine besondere Anziehungskraft auf dieses Gewerbe aus. ,
    Vom Ausmaß des Schiebertums gaben wenigstens die von der Polizei eingezogenen Schwarzmarktwaren eine ungefähre Vorstellung. So hatte beispielsweise allein das Schwarzmarktdezernat der Hamburger Kriminalpolizei 1946 Waren mit einem Gesamtgewicht von 2156 Tonnen und einem Wert von 8,4 Millionen Reichsmark beschlagnahmt. Damit konnten 144 Güterzüge gefüllt werden. Dazu waren dann aber noch die Schieberwaren hinzuzurechnen, die die Militärpolizei, die Zollorgane, die Schutzpolizei und die Gendarmen in eigener Regie beschlagnahmt hatten. Außerdem deckte die Hamburger Polizei im gleichen Zeitraum 255 Lebensmittelverfälschungen auf und hob 725 Schwarzbrennereien und 100 Druckereien aus, die falsche Lebensmittelkarten und Bezugscheine gedruckt hatten.
    Schwarzhändlerringe, meist besser organisiert, bewaffnet und motorisiert als die Polizei, beherrschten überall in den Westzonen die schwarzen und grauen Märkte, diktierten die Preise und sorgten dafür, daß ganze Produktionsauflagen und Warenlager in dunklen Kanälen verschwanden. Der Schwarzhandel nahm schließlich so verheerende Ausmaße an und gefährdete so sehr die Wirtschaft und Versorgung, daß einige westzonale Landesverwaltungen, wie etwa die von Rheinland-Pfalz in der französischen Zone, mit Billigung der Besatzungsmacht die Todesstrafe für Schwarz- und Schleichhändler einführten bzw. einführen wollten.
    Erna Sanders freilich gehörte nicht zu jenen Spekulanten, die das Schiebergeschäft en gros betrieben. Sie war nur eines der zahllosen kleinen hungrigen Fischchen, die im Kielwasser der Großen gierig nach den Brosamen schnappten, die jenen zu kümmerlich waren. Zwischendurch, wenn ihre kleinkarierten Geschäfte mit Kaffee und Zigaretten zuwenig abwarfen, um davon leben zu können, verkaufte sie in dubiosen Pensionen auf schmuddligen Pritschen wohl gelegentlich auch ihren Körper.
    Auf der Suche nach den Mördern rekonstruierten Oberinspektor Stave und seine Mitarbeiter das Leben dieser Frau. Als wertvolle Informationsquelle erwies sich schon bald eine kleine, verräucherte Eckkneipe am Hauptbahnhof. Hier war Erna Sanders Stammkundin gewesen. Und hier traf sie beinahe täglich mit einem halben Dutzend anderer Entwurzelter zusammen, die, gleich ihr ständig auf der Lauer nach der großen „Chance ihres Lebens" und ständig auf der Flucht vor dem Meldeamt und der Polizei, ihr Leben von dunklen Geschäften fristeten.
    Da war zum Beispiel der ehemalige Küchenfeldwebel Kurt Kröppel aus Essen, der den Ton angab und höchst freigebig mit Arbeitsplatzangeboten in seinem künftigen Fuhrunternehmen um sich warf. Erna Sanders hatte es bei ihm sogar schon zur „fest angestellten" Prokuristin gebracht. Lohn bekam sie freilich noch nicht, denn das „Unternehmen" hatte ja noch keine Einnahmen. Dennoch hatte der Exküchenbulle und zukünftige Fuhrunternehmer dem Bürgermeister des kleinen Ortes bei Rendsburg Erna Sanders' Anstellung in seinem Betrieb bereits angezeigt und damit ihre Lebensmittelkartenbezüge gesichert. Einem weiteren Mitglied der Runde, einem Kriegskrüppel, war der Posten eines Kontoristen, einem Arbeitslosen der des Kraftfahrers zugesichert worden.
    Eine Geistesschwache, die sich entgegen der Wahrheit als Verfolgte des Naziregimes ausgab, fungierte als Gönnerin und stille Teilhaberin. Zwar besaß sie weder Geld noch Beziehungen, um das geplante Unternehmen protegieren zu können,
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